Uehor die sexuellen Ursachen
der
Von
I)r. Felix Gattei,
Nervenarzt in Berlin.
Berlin 1898.
Verlag von August Hirschwald.
NW. Unter den Linden 68.
Alle Rechte Vorbehalten
Vorwort.
Während eines seehsinonai liehen Aufenthaltes in Wien bin ich an
der psychiatrischen Klinik des allgemeinen Krankenhauses so ausser-
ordentlich liebenswürdig und gastfreundlich aufgenommen worden, dass
ich dem Leiter derselben, Herrn Hofrat Professor Dr. Freiherrn
von Krafft-Ebing an dieser Stelle, die Versicherung meiner aufrichtigen
und dauernden Dankbarkeit aussprechen möchte. Ebenso zuvorkommend
waren auch die übrigen Herren der Klinik gegen mich, ganz besonders
die Herren Assistenten DDr. Karplus und Infeld und ich gestehe gern
zu, dass, hätten diese mir nicht das reichhaltige Krankenmaterial zur
Verfügung gestellt, ich kaum in die Lage versetzt worden wäre, den
Zweck meiner Studien zu erreichen.
Ich bin mir bewusst, dass ich bei vielen der Herren Kollegen, für
die ausschliesslich die folgenden Erörterungen bestimmt sind, mit der
Berührung der Sexualfrage auf Widerstand stossen werde, denn vielen
ist es nicht genehm, wenn man diese in den Bereich wissenschaftlicher
Erörterung zieht. Hätten alle Forscher vergangener und gegenwärtiger
Zeiten sich ebenso schnell von ihren unbekannten Aufgaben abgewandt,
wir hätten nicht den Stand biologische]! Erkennens und Wissens zu ver-
zeichnen, wie dies heule der Fall ist. Oder sollen wir uns, weil die
Kultur im Laufe der Jahrhunderte alles Sexuelle mit einem Scham-
tüchlein bedeckt hat, trotz besseren Wissens nun auch davon abwen-
den und Schädlichkeiten und Krankheiten weiter bestehen lassen, die
wir bei ruhiger, eingehender Betrachtung leicht beseitigen können?
IV
Vorwort.
Wohl bin ich auf Widerspruch bei meinen Erörterungen gefasst,
und ich bin bereit die eventuellen Vorwürfe allein auf mich zu nehmen.
Was auch in den folgenden Blättern geschrieben steht, ist lediglich von
mir ausgegangen und ich möchte nicht, dass die Männer, die mir das
Material geliefert, in irgend welcher Weise für meine Ideen und An-
sichten verantwortlich gemacht würden. Es hicsse die Gastfreundschaft,
die ich genossen, arg missbrauchen, wollte ich die Namen der oben-
erwähnten Herren mit in die Debatte ziehen lassen.
Berlin, im Mai 1898.
Felix Gattei.
IT enn ich den Leser bitte, mir in der Littcratur über Neurasthenie
etwas rückwärts zu folgen, so thue ich cs nicht, um vor seinem Ge-
dächtnis all die ungezählten Publikationen über diese Erkrankung vor-
überziehen zu lassen; denn ihre Zahl ist sehr gross, und schwer ist es,
hcrauszusondern, was einen wirklich bleibenden, praktischen Wert hat.
Ich greife zurück auf die Arbeiten von Kaan1), Hecker2) und Freud3),
welche den Angstzuständen als einem der häufigsten Symptome der
Neurasthenie ihre besondere Aufmerksamkeit zugewandt haben.
Kaan nimmt an, dass Zwangsvorstellungen auf Grund hereditärer
Degeneration und erworbener Neurasthenie, aus Angstgefühl entsteht;
dass gehäufte Störungen des Gelassnervensystems und Parästhcsieen die
Angstzuständc der Neurastheniker hervorrufen.
Hecker stellt auch die Häufigkeit der Angstzustände bei Neurasthe-
nikern fest. Mehr als die Hälfte seiner Patienten ist damit behaftet ge-
wesen; teils treten diese Zustände bei ganz bestimmten Gelegenheiten
auf, teils entstanden sie spontan ohne eine äussere Veranlassung; ver-
schwanden, um bald wieder aufzutreten. In manchen Fällen aber
dauerten sie in leichter Form ununterbrochen an. Hierbei fiel ihm immer
auf, dass die verschiedenen Angstzustände dem Kranken nicht als Angst-
gefühl zum Bewusstsein kamen, sondern von ihm auf irgend welche
somatischen Erscheinungen bezogen wurden; bis man ihm die Angst-
1) Kaan, Der neurasthenische AngstalTect bei Zwangsvorstellungen. Jahrb. f.
Psych. XI. 3.
2) Hecker, Ueber larvierte und abortive Angstzustände bei Neurasthenie.
Centralbl. f. Nervenheilk. u. Psych. Dec. 1893.
3) Freud, Ueber die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten
Symptomenkomplex als „Angstneurose“ abzutrennen. Neurol. Ctrbl. 1895. 2.
Gattei, Sexuelle Ursachen der Neurasthenie.
1
zustande al> solche deutete und damit wirklich in das Bewusstsein
brachie. Hecker schlug hierfür den Namen larvierte Angstzustande
vor, „weil der Kranke den Zustand mit einem andern ihm geläufigen
psychischen Zustand verwechselt oder ihn unter hauptsächlicher Berück-
sichtigung eines einzelnen, der die Angst begleitenden somatischen Sym-
ptome überhaupt für einen rein körperlichen hält“. Nachdem er die
einzelnen körperlichen Symptome als Herzklopfen, Respirationsstörungen,
Störungen der Muskelinncrvation, Schwindel, abnorme Sensationen u. s. w.
untersucht hat, kommt er zu der Ansicht, „dass bei Neurasthenie mit
überraschender Häufigkeit an Stelle körperlicher Angstanfälle, bald dieses,
bald jenes körperliche Attribut der Angst, ganz vereinzelt in ausge-
sprochenen Anfällen auftritt, ohne von psychischen Anfällen begleitet
zu sein.“
Unabhängig hiervon hat Freud den Vorschlag gemacht, in der
Deutung der Symptome, die als Angstzustand erscheinen, einen Unter-
schied zu machen im Gegensatz zur echten Neurasthenie und begründet
diese Trennung damit, dass nach seiner Erfahrung auch die Aetiologic
beider eine getrennte ist. Freud schlug für diesen Symptomen komplex
die Bezeichnung „Angstneurose“ vor. Hiermit habe ich schon gesagt,
dass Freud weiter ging als Hecker; denn während Hecker nur das
Bestehen der Angstzustände und ihr häutiges Vorkommen in inkomplctcr
Form hervorgehoben hat, ohne nach der Aetiologic zu fahnden, hat
Freud die Angstneurose aus Schädlichkeiten im Sexualleben abgeleitet.
Die Angstneurose entsteht in all den Fällen, in denen eine Retention
der Libido längere Zeit angehalten hat. Er unterscheidet die Angst-
neurose bei beiden Geschlechtern, je nach den einzelnen schädlichen
Einwirkungen auf das Nervensystem als:
I. a) Angst der Adolcscenten,
b) Angst der Neuvermählten,
c) Angst der Frauen, deren Männer an verminderter Potenz
leiden,
d) Angst der Frauen, deren Männer den Coitus interruptus
ausiiben,
e) Angst der Wittwen und Abstinenten,
f) Angst im Klimakterium.
In die Reihe der Ursachen für die männliche Angstneurose stellt
Freud folgende Formen der Angst:
II. a) Angst der Adolescenten,
b) Angst der Männer mit frustraner Erregung (Brautstand),
Furcht vor sexuellem Verkehr,
c) Angst der den Coitus interruptus ausübenden Männer,
d) Angst der Männer im Senium.
Als für beide Geschlechter gültig betrachtet er:
III. a) die Angst derer, die sich durch Masturbation befriedigten
und nach Aufhören der Masturbation die Abstinenz nicht
ertragen können,
b) die Angst nach Uebcrarbeitung, körperlicher Erschöpfung,
Nachtwachen etc.
Diese letztere Form schien zunächst nicht auf sexueller Basis zu
beruhen.
Hier will ich noch erwähnen, dass Freud mehrere Formen des
Angstanfalles unterscheidet, bei denen die somatischen Beschwerden im
Vordergrund stehen; die psychischen Symptome aber ganz oder fast
vollkommen in den Hintergrund getreten sind. Dies ist der Punkt, in
dem er sich mit Hecker trifft; er unterscheidet nämlich als hervor-
tretende somatische Erscheinungen: Störung der Hcrzthätigkcit, der Ath-
mung, anfallsweise Schweissausbrüche, Zittern und Schütteln, Heiss-
hunger, Diarrhöen, Schwindel, Kongestionen, Parästhesieen. Für diese
letzteren Formen der Angstanfälle schlägt er den Namen „rudimentärer
Angstanfall oder Aequivalent des Angstanfalles“ vor.
Nun muss man aber nicht denken, dass Freud die Angstanfälle
als stets ganz rein vorkommend betrachtet, so dass bei den Einwir-
kungen einer der oben erwähnten Schädlichkeiten gleich ein Angstanfall
ausgelöst wird. Er erkennt vielmehr an, dass die Schwierigkeiten, einen
Angstanfall rein zu bekommen, nicht unerhebliche sind und derselbe oft
mit Neurasthenie verquickt ist. In solchen Fällen aber hat er beob-
achtet, dass beim Vorhandensein von neurasthenischen und angstneuro-
tischen Symptomen auch die Aetiologie eine gemischte ist. Aber die
Symptome, die zur Neurasthenie führen, können nicht eine Angstneurose
hervorrufen, so wenig wie die, die umgekehrt eine Angstneurose Hervor-
rufen, eine Neurasthenie machen können. Anderseits tritt aber noch die
Vermengung der Angstneurose mit der hysterischen Phobie auf, und
dann unterscheidet Freud auch hierfür eine getrennte Aetiologie.
Diese Ausführungen Freud ’s waren selbstverständlich etwas über-
4
raschend; < h*n n wenn es auch an sich nicht zu verwundern ist, dass im
Krankheiisbilde der Neurasthenie neue Symptome gefunden worden
wären, wie dieses ja doch seit der ersten Besehreibung dieser Krank-
heit slorm überhaupt fast jährlich geschehen ist, so war es doch etwas
frappant, sexuelle Unregelmässigkeiten als blosse ätiologische Noxe von
Jemandem vertreten und alle andern eventuellen Ursachen als sekundäre
in zweite Reihe gesetzt zu sehen.
Us ist deswegen auch nicht zu verwundern, dass sofort Gegner
dieser Theorie auftraten. Als einer derselben ist in erster Linie Löwen-
feld1) zu nennen, der energisch gegen die Freud’schcn Ansichten Front
machte.
In seinen Untersuchungen bezeichnet er auf Grund einiger Kranken-
geschichten, die er mitteilt, den Angstzustand als Bindeglied zwischen
neurasthenischcn Symptomen und hysterischem Appendix.
Diese Bezeichnung sieht sofort etwas verwunderlich aus; denn wenn
er zwei Symptome durch ein drittes verbindet, so kann er dann nur
meinen, dass die beiden verbundenen auch als etwas sehr ähnliches auf-
zufassen sind, und dies dürfte doch wohl der allgemeinen Ansicht über
Neurasthenie und Hysterie nicht ganz entsprechen. Bei genauer Durchsicht
seiner Krankengeschichten zeigt sich auch, wodurch eigentlich Löwenfeld
auf diesen Irrweg geraten ist, indem er nämlich fast nur Fälle von Hysterie
bringt, die Freud in seinen Betrachtungen ausgeschlossen hatte. Er
spricht der Freud’schen Theorie für eine grosse Zahl von Fällen mit
Angstzuständen die Berechtigung nicht ab, was er aber bestreitet, ist
die von Freud für die erworbenen Angstzustände angenommene Regel-
mässigkeit und Specia lität der sexuellen Aetiologie. Mag Löwen-
feld nun der erblichen Belastung einen grösseren Raum für das Ent-
stehen der Angstzustände einräumen, so ist hiergegen vor der Hand
nichts einzuwenden. Wenn er aber bei seinen Krankengeschichten gar
nicht auf die sexuelle Anamnese eingeht oder sie zum mindesten nicht
publiziert, so erscheint er mir auch nicht berechtigt, über die Freu fi-
sche Theorie diese weitgehende Kritik zu üben.
Noch eine viel grössere Rolle über das Entstehen des Angstanfalles
spielt nach seiner Meinung der Schreck bei neurotisch veranlagten In-
1) Löwenfeld, Ueber die Verknüpfung neurasthenischer und hysterischer
Symptome in Anfallsform nebst Bemerkungen über die Freud’sche „Angstneurose“.
Münchn. med. Wochenschrift. 1895. No. 13.
D
dividuen. Es ist ja richtig, dass in einigen dor wenigen Kranken-
geschichten, die Löwenfeld ins Feld führt, der Angstanfall nach einem
Schrecken aufgetreten ist. Muss aber auch desshalb der Schreck die
Wurzel des Anfalles sein, oder wäre es nicht richtiger gewesen zu unter-
suchen, ob der Schreck hier nicht bloss, die Stelle eines Agent provo-
cateur einnimmt, und ob nicht in der ganzen Zeit vor dem Schrecken
irgend etwas anderes obgewaltet hat, sodass bei der Emotion, wie ihn
doch der Schreck darstellt, schliesslich der Angstzustand frei zu Tage
treten konnte? Ich meine, man dürfte hier nicht eher kritisieren, ehe
man nicht die Argumente des Gegners genau geprüft, und andererseits
dürfte wohl eine Zahl von 6 Krankengeschichten kaum beweisend sein.
Nun kann ich Löwenfeld aber seine Kritik der Angstneurose nicht
so sehr verübeln, wenn ich bedenke, welche Ansicht er an anderer Stelle
über Hysterie und Neurasthenie äussert H.
Denn hier sagt er, dass eine streng wissenschaftliche Unterschei-
dung zwischen Hysterie und Neurasthenie nicht durchführbar sei, ihre
Trennung eine Folge des Entwicklungsganges unserer Kenntnisse auf
diesem Gebiete. Meines Achtens nach ist dies eine zu grosse Beschei-
denheit; denn aus der Mangelhaftigkeit einer bisherigen Untersuchung
darf man nicht auf deren Undurchführbarkeit schliessen.
Es zeigt sich ja dann, dass er an einem grossen Material reiche Er-
fahrungen gesammelt hat, was die Aetiologie und Symptome der Neur-
asthenie betrifft. Dieses Verdienst wird ihm sicherlich niemand ab-
streiten, aber er räumt den Angstzuständen nicht den ihnen gebührenden
Platz ein und ebensowenig den sexuellen Ursachen der Neurasthenie.
Ich habe daraufhin die Litteratur weiter verfolgt, und wunderte
mich, dass Bi nswanger1 2) in seinem ausführlichen Werke der Sexualität
und deren Einfluss auf die Entstehung der Neurasthenie einen ganz
minimalen Raum gewährt. Ich will es nicht unterlassen, an dieser Stelle
auf diejenigen Momente zu verweisen, die Binswanger für die Ent-
stehung der Neurasthenie für wichtig erachtet.
Er glaubt, dass vor der Entwickelung dieser Nervenkrankheit eine
neu ropathi sehe .Prädisposition schon vorhanden gewesen sein müsse. Und
wenn ich auch hier noch nicht die Ansichten anderer Autoren der Kritik
1) Löwenfeld, Pathologie und Therapie der Neurasthenie und Hysterie.
Abt, I. 1893.
2) Binswanger, Die Pathologie und Therapie der Neurasthenie.
UllUTZICI]
weisen,
organisd
Mi will, so möchte ich ns doch nicht unterlassen, darauf liinzu-
n welcher Weise hei einer nicht genauen Unterscheidung eine
i * Erkrankung mit ei ihm1 Neurose verwechselt werden kann, denn
wenn man. so wie Binswanger, sehn
, dass in einem Falle ein ge-
rn- neurasthenischor Patient seihst darauf aufmerksam macht, dass
er als schwächliches Zwillingskind zugleich mit einem gesunden, kräftigen
Bruder geboren wurde, und in einem zweiten Falle eine zart gebaute
Mutter zwei Monate nach der Geburt eines kräftigen Kindes schon wieder
gravid wurde, dass sie die ganze Zeit bis zur Geburt entkräftet gewesen
sei und auch »-in schwächeres Kind, das später neurastheniseh wurde,
geboren hat, so darf man diese Fälle nicht zu denen mit ererbter, d. h.
von den Erzeugern überkommener Disposition legen, sondern beide Palle
müssen einfach als Ent Wickelungshemmung betrachtet werden und
kann für organische Schwäche des Nervensystems nur die organische
Actiologie in Betracht kommen. Binswanger findet, dass eine kon-
genitale Veranlagung zu konstitutioneller Neurasthenie noch nicht einmal
bei der Hälfte der neurast henischen Patienten sich beweisen lässt, denn
bei seinen klinisch behandelten Kranken fanden sich bloss 49 pCt. der
männlichen und 35,5 pOt. der weiblichen Patienten erblich belastet.
Daraus ginge hervor, dass während des extrauterinen Lebens hinreichend
schädliche Ursachen auf den Kulturmenschen einwirken, um für sich
allein jene neurasthenischen Ermiidungs- respektive Erschöpfungszustände
des Contra .Inervensystems hervorzu bringen.
Boi unseren sozialen Lebensbedingungen sei der Mann viel häutiger
den Schädlichkeiten ausgesetzt, welche Neurasthenie bedingen können.
Werde aber die Frau den gleichen Daseinsbedingungen ausgesetzt, so
unterliegt sic den gleichen Gefahren. Das lehrt die Häufigkeit der
Neurasthenie bei Lehrerinnen, weiblichen Angestellten im Post- und
Telegraphendienst und in kaufmännischen Geschäften, sowie bei Künstlern,
liier möchte ich einflechten, dass zu untersuchen gewesen wäre, ob nicht
durch veränderte soziale Lebensbedingungen einer Frau auch deren
Sexualbeziehungen eine Aenderung erleiden. Dann führt Binswanger
als ätiologische Momente an: deprimierende Affekte, Kummer, Sorge,
Gram, dann kommen die Genüsse, Litteratur, bildende Künste und Musik,
welche heut zu Tage in dem Bestreben, unser Gemiith auf das Tiefste
zu bewegen, wetteifern. Das mag ja gewiss richtig sein, aber auch hier
wäre zu untersuchen, ob nicht gerade diese „Genüsse“ primär auf das
7
Sexualleben eine Einwirkung haben und sekundär erst zur Erkrankung
lüliren. Scddiesslieli kommt er auf die intellektuellen Ueberanstrengungen
zu sprechen und bezeichnet den Umstand als eine allgemeine Erlahrungs-
thatsache, dass alle diejenigen Individuen leichter der Neurasthenie unter-
liegen, welche mit geistiger Arbeit einseitig belastet sind: „wie dies zum
Beispiel bei der Ueberbiirdung in der Schule etc. der Fall ist“.
Meines Erachtens müsste man auch die Kehrseite derartiger ein-
seiliger Belastungen untersuchen, und sehen, ob nicht etwa in der Be-
schäftigung selbst eine grössere Umleitung des Gemüthes auf sexuelle
Vorgänge liegt, welcher keine entsprechende Ableitung entgegengesetzt
wird. Fast jeder Neurastheniker würde, so meint Binswanger an
anderer Stelle, wenn er Vertrauen zu seinem Arzt gefasst hat, sein Herz
ausschiitten und mitteilen, dass er früher onaniert hat. Wenn man aber
den Dingen auf den Grund ginge, würde man fast immer finden können,
dass der selbstquälerische Patient aus sich heraus oder durch Lektüre
populärer medizinischer Bücher diese Ansicht produziert und die Onanie
zurück verlegt. Hiermit will Binswanger sagen, dass die sexuelle
Aetiologie bei weitem für zu gross angeschlagen wird, und er äussert
sich sogar dahin, dass die Onanie dem Coitus gleich zu erachten ist,
und man höchstens deswegen die Masturbation für gefährlicher halten
könne, weil sie eine fast unbegrenzte Gelegenheit zur Ausführung biete.
Ueber das Zustandekommen der Masturbation, ob es etwa durch Zwang
oder sonstige andere psychische Einflüsse bedingt wird, fehlt jedwede
Aeusserung.
Er widmet dann eine ganze Vorlesung ausführlich den neurasthe-
nischen Genitalstörungen, aus denen ich nur hier einiges herausgreifen
möchte1). „Ich gelangte dort (i. e. in der allgemeinen Aetiologie und
Pathologie der Neurasthenie) zu dem Schlüsse, dass die Störungen der
Genitalsphäre in vereinzelten Bällen der Ausgangspunkt des Leidens ge-
wesen sind, und dass sie viel häufiger nur als Begleiterscheinung der
Neurasthenie aufgefasst werden müssen, welche vermöge der allgemeinen
nervösen und psychischen Störungen des neuraslhenisehen Individuums
in erhöhtem Maasse zu subjektiven Beschwerden geführ! haben. Zu dom
gleichen Schlüsse gelangte ich bezüglich der nosologischen Bedeutung
der Genital Störungen innerhalb des neuras! henischen Symptomenkomplexes.
1) 1. c. S.
s
In der Mehrzahl der Falle können sie nur in so weit einen grösseren
Wert beanspruchen, als sie den psychischen Zustand des Kranken in un-
günstiger Weise beeinflussen“, und an anderer Stelle sehliesst er1): „Auch
ieh halte die sexuellen Störungen der Neurastheniker in der überwiegen-
den Mehrzahl der Fälle für sekundäre, auf dem Boden der allgemeinen
Neurose entstandene und mit den übrigen Symptomen durchaus gleich-
wert ige Krank heitserscheinungen.“
Ich habe weiter oben schon gesagt, dass ich an dieser Stelle weder
die Freud’schen Ansichten, noch die Ansichten anderer Autoren einer
Kritik unterwerfen will; wenn es aber trotzdem scheinen sollte, dass
ich hier das Binswanger’sche Buch eingehender beurteilt habe, als es
für diesen Teil der Arbeit nötig ist und man dagegen einwenden könnte,
dass es ja garnichts mit der Angstneurose zu thun hat, so habe ich es
gerade deswegen gethan, um zu zeigen, wie wenig Binswanger auf die
sexuellen ätiologischen Momente überhaupt Wert legt und wie er in
seinem ganzen Werke der Freud’schen Angstneurose oder der Hecker-
sehen Angstanfälle gar keine Erwähnung thut.
Natürlich haben mich die Ansichten eines Neuropathologen wie Bins-
wanger nicht wenig beschäftigt, und ich glaubte selbst, dass mit der Nicht-
erwähnung der Sexualtheorie eine stillschweigende Kritik von ihm geübt
worden ist. Nachdem ich aber im weiteren Verlauf der Zeit gesehen habe,
dass man nicht allgemein dieses Totschweigen übt, glaube ich jetzt eher,
dies als einen Mangel der Binswanger’schen Arbeit betrachten zu müssen.
So fand ich, dass von Tschisch2) die Angstzustände einer Be-
trachtung für würdig gehalten hat. Er untersuchte 17 Fälle von Neur-
asthenie (11 Männer und 6 Frauen), bei denen er als einzige Ursache
den Coitus reservatus fcststellcn konnte. Bei allen traten bereits zwei
Monate nach dessen Ausübung Angsterscheinungen ein und hauptsächlich
waren es zwei Symptome, die ihm auffielen: nämlich Furchtsamkeit und
ein gar nicht oder nur ungenügend motivirtes Gefühl von Angst und
Gleichgültigkeit gegen ihre ganze Umgebung. Zwei seiner Patienten
setzten diese sexuelle Schädlichkeit aus und wurden, wie v. Tschisch
schreibt, gesund; und dann, nachdem sie wieder angefangen hatten, er-
lj 1. c. S. 269.
2) v. Tschisch, Sitzungsberichte des VI. Congr. d. Gesell, russ. Aerzte in
Kiew 1896.
krankten sie abermals und zwar genau in derselben Weise, wie das erste
Mal. Hiermit hatte v. Tschisch 17 Fälle von Angstneurose gefunden,
und auch eine specifische Ursache derselben, die sich ganz mit der
Freud’ sehen deckte. In 36 anderen Fällen von Neurasthenie konnte
er die Aetiologie nicht so rein finden, trotzdem auch hier der Coitus
reservatus eine der vielen Ursachen war, und dem entsprechend auch
die Angst im Svinptomencomplex sich zeigte; sodass er cs hier mit
Mischformen der Neurasthenie und Angstneurose zu tlmn hatte.
Im Laufe der Zeit hat nun Löwenfeld1) seine Aufmerksamkeit
den Angstzuständen mehr zugewandt und kommt in einer neuen Ver-
öffentlichung ausführlicher als früher auf die Freud’ sehe Theorie zu
sprechen. Ich bemerkte bereits dort, dass mir bei Löwen fei d eine
gewisse Ungenauigkeit in der Angabe seiner Fälle aufgefallen ist und
auch hier vermisse ich in erster Linie die Angabe, wieviel Fälle er über-
haupt seiner Untersuchung zu Grunde gelegt hat; trotzdem er davon
spricht, dass bei seinem Krankenmaterial sich ein auffallendes Ucber-
wiegen der Männer zu den Frauen im Verhältnis von 2 : 1 findet. "Wir
wissen noch nicht, ob das Material gross genug gewesen ist, um über-
haupt einen Schluss auf das procentische Verhältnis der beiden Geschlechter
zuzulassen.
Löwenfeld giebt zu, dass ausser Zufälligkeiten bei Männern
spcciell sexuelle Noxen sich häufiger geltend machen, als bei Weibern.
Am wichtigsten ist mir jedoch sein Befund, dass in annähernd 75 pCt.
seiner Fälle sich eine sexuelle Aetiologie gefunden hat, häufiger als er
selbst erwartete, „d. h. in diesem Procentsatze der Fälle Hessen sich
irgendwelche als Schädlichkeiten anzusprechende Verhältnisse im Bereiche
der Vita sexualis eruiren, welche bereits vor dem Eintreten der Zustände
ihren Einfluss geltend machten.“ Ich bin auch fest überzeugt, dass
Löwenfeld thatsächlieh diesmal die Anamnese so genau wie möglich
aufgenommen hat und auf diese Weise 75 pCt. der Fälle mit Sexual-
noxen als Aetiologie gefunden. Aber ich möchte ihm nicht darin bei-
pflichten, dass, weil das weibliche Geschlecht absolute Abstinenz leichter
erträgt als das männliche, man bei jungen Mädchen, „an deren Jung-
fräulichkeit und moralischer Intactheit nicht zu zweifeln wäre“, eine
1) Löwenfeld, Zur Lehre von den neurotischen Angstzustiinden. Münchner
ined. Wochenschr. 1897. No. 24, 25.
10
sexuelle Schädlichkeit ohne weiteres aussch Hessen darl. Wie \icle \on
diesen zeigen gerade durch ihre sexuellen I räume, dass sie trotz eines
durchaus keuschen Lebenswandels sexuell bedürltig sind; und bei wie
vielen vulgo als sehr anständig bezeichncten Mädchen bringt der hann-
loseste gesellschaftliche Vorkehr mit Angehörigen des andern Geschlechts
ebenso wie Leibesübungen (Tanzen, Radfahren, Reiten) eine Irustanc Er-
regung mit sich, die dann ebenso gut als Angst in pathologischer V eise
zur Geltung kommen kann. Wohl möglich, dass also bei noch ge-
nauerem Zusehen sich der Procentsatz Löwen leid s noch grösser als
75 pCt. gestalten würde.
Weiter sagt Löwenfcld: „Wenn auch die F reud’sche Theorie der
Angst den Phobien gegenüber ganz und gar, und jedenfalls einem Teil
als spontanem Angstanfall gegenüber versagt, welchen Werth kann diese
Theorie überhaupt beanspruchen?“ Ich meine, gerade einen sehr grossen
Wert, wie bei jeder Diagnosis per exclusionem! Denn, wenn in einem
Fall die Theorie der Angstneurose versagt, wenn die Phobie ganz cir-
cumscript, dann eben handelt es sich nicht um eine Angstneurose,
sondern um eine Hysterie; dann ist infolge der anderen Aetiologie auch
die Behandlung eine ganz andere, weit schwierigere und dann zeigt sich
wieder, welche himmelweite Entfernung die Neurasthenie und Angst-
neurose auf der einen Seite von der Hysterie auf der anderen Seite
trennt.
Wie verhält sich nun Löwenfeld zu der Frage der Heredität? Da
sagt er: „Hereditäre Veranlagung findet sich zwar nicht constant, jedoch
in der grössten Mehrzahl der Fälle; sie fungiert aber bei Erwachsenen
jedenfalls nur sehr selten als ausschliessliche Ursache von Angstzu-
siänden; im Allgemeinen beschränkt sie ihre Rolle darauf, dass sie die
pathogene Wirksamkeit anderer ätiologischer Momente, der essentiellen
Ursachen, erhöht.“ Das wäre nun ganz gut und könnte sich wohl auch
mit der Freud’schen Theorie decken, wenn sich nicht einige Seiten
später bei Löwen feld ein Widerspruch in seiner Auffassung ergäbe, in-
dem er sagt, dass man es fast ausschliesslich mit erblich belasteten
Individuen zu thun hat, bei welchen neben den hereditären Momenten
sexuelle Noxen sich finden. Es ist gewiss anzuerkennen, dass Löwen-
feld sich durch genauere Analysierung seiner Fälle zum Teil vor den
Freud 'sehen Ansichten gebeugt hat, nur glaube ich, dass ihm bis jetzt
die Definition der Angstneurose nicht ganz geläufig ist, da er den
prinzipiellen Gegensatz zwischen Angstneurose und Hysterie, worauf
Freud ja gerade in allen seinen Arbeiten einen grossen Wert legt,
nicht genügend auseinander hält.
« Die von Freud ausgesprochenen Behauptungen, dass Angstneurose
nur auf Grund einer speeifischen sexuellen Ursache entstehen könne,
haben mich sicher nicht weniger erstaunt und zur Kritik angereizt, wie
die anderen Autoren, deren ich Erwähnung gethan habe. Von der Vor-
aussetzung ausgehend, dass man keine Kritik nach blossen Anti- oder
Synipathiecn ausüben dürfe, je nach dem Einem eine aufgestellte These
gefällt oder nicht, sondern dass man, um eine Behauptung eventuell
widerlegen zu können, denselben Untersuchungsgang, wie der Andere
einschlagcn muss, habe ich mir die Aufgabe gestellt, ein möglichst
grosses Krankenmaterial zusammenzutragen, ganz objcctiv zu betrachten
und dann erst zu sichten.
Gelegenheit hierzu fand ich an den Patienten des Ambulatoriums
für Nervenkrankheiten und Psychiatrie des Herrn ITofrats Professor Dr.
von Krafft-Ebing in Wien. Ich stellte mir die Aufgabe, die Angaben
von 100 Patienten der Reihe nach zu registrieren, aber nur von solchen,
die keinerlei organische Nervenkrankheiten hatten. Wenn nämlich Freud
mit seiner Annahme, dass die Angstneurose eine speei fische
sexuelle Ursache habe, Recht behalten wollte, so müssten die andern
Fälle von Neurose, die keine Symptome von Angst aufweisen,
wiederum ihrerseits eint' andere, specifische sexuelle Ursache
haben und auch um mir den Vorwurf der Parteilichkeit zu ersparen,
habe ich nicht nur die Fälle mit „Angst“ hcrausgegriffen, sondern wie
schon erwähnt alle, so wie sie kamen, einen nach dem andern notiert.
Nehmen wir noch dazu, dass Freud seit .Jahren der Hysterie ihre
specifische sexuelle Ursache zuweist, so bleibt schliesslich nur die
Neurasthenie übrig, sodass die sexuellen Ursachen aller Neurosen sich
in diesen 100 Fällen vorfinden müssen. Nun habe ich aber, um den
Procentsatz der Neurastheniker und Angstneurotiker zu erhöhen, keinen
Fall von schwerer, auf den ersten Blick gekennzeichneter Hysterie
aufgenommen; denn um die Aetiologie der Hysterie zu ergründen und
den ersten aus frühester Jugend stammenden Keim herauszugraben, be-
darf es mehr /eit, als man bei einem ambulatorischen Examen zur \ er-
fiigung hat; um derartige Psychoanalysen durchzul (ihren, bedarf cs
Wochen und Monate. Ausserdem sind aber dazu nur Patienten geeignet,
die ein höheres Niveau von Intelligenz erreichen.
Meine Patienten waren dagegen ganz einfache Leute, wie jedes
Ambulatorium sie bietet. Einen \ orteil hatte dies ja in so fern, als
auch alle sich wirklich krank fühlten; denn die arbeitende Klasse der
Menschen läuft einer einfachen Caprice wegen nicht zum Arzt, während
zu Hause die Arbeit ruht — anderseits hatte das Material freilich den
kleinen Nachteil, dass diese Leute doch vielleicht etwas weniger Wert
auf Selbstbeobachtung legen, als wie nur geistig t hat ige Menschen. Der
Nachteil giebt aber dem Vorteil gegenüber kaum einen Ausschlag, ja es
lassen die weniger detaillierten Angaben vielleicht sogar auf eine grössere
Differenz in der Aetiologie schliessen und so für beginnende Forschungen
in dieser Frage eine grössere Klarheit erkennen. Kompliziertere Fälle
mit recht verschlungener Aetiologie aufzuklären, möge ein ander Mal das
Feld meiner Untersuchungen bilden.
No.
Name und
Stand
Alter
Er-
krankt
seit
Heredität
und frühere
Erkrankung
Subjektive Beschwerden
1.
Julius S.,
Hand-
lungs-
gehilfe.
2-2
3-4
Woch.
Scharlach,
Masern, 2 mal
Lungen-
entzündung.
Allgemeine Angst, speziell Brücken,
Fensterangst.
Peter D.,
Friseur.
:so
3 Mon.
Aohnlichcr
Zustand vor
2 .1. nach
Tripper.
Anfallswei.se Zittern, Schwitzen,
Athembeschvverden , allgemeine
Angst.
3.
Ford in. 11.,
Kommis.
19
4 .J.
Nihil.
Mattigkeit, Magenschmerzen.
4.
Itcne v. S.,
Photo-
graph.
21
1 J.
Typhus.
Herzklopfen, Angst, Beklemmung,
Kopfschmerz.
13
Es mag vielleicht befremdlich erscheinen, dass ich diese heiklen
Krankengeschichten alle wiedergebe, in denen ja, ich leugne es nicht,
eine gewisse Monotonie zu Tage tritt; erklärlich wird cs aber durch die
Ueberlegung, dass diese Patienten nicht gut zum Gegenstand einer De-
monstration, wie solche mit organischen Nervenkrankheiten gemacht werden
können, dass man vielmehr das glauben muss, was der Arzt bei der
Unterhaltung mit dem Kranken unter 4 Augen erfahren hat und mitteili.
Hätte ich lediglich eine Statistik aufgestellt, so könnte man mir
denselben Fehler, wie den andern Bcurtheilern Freud ’s zum Vorwurf
machen. Ich glaube daher durch die breitere Mitteilung der Kranken-
geschichten einen grösseren Anspruch auf Wahrheitstreue machen zu
können.
Zunächst lasse ich nun die tabellarisch angeordneten Kranken-
geschichten folgen und cs ist wohl nicht nötig, auf die Anordnungen der
Rubriken vorher einzugehen, da ich mich dabei der grösstmöglichen
Ueb ersichtlich k eit befleissigt habe:
Somatischer
Befund
Sexualbeziehungen
Diagnose
Nihil.
Verkehrt hin und wieder seit 4 Jahren mit Prostituier-
ten, hat jedoch nie rechte Befriedigung gehabt. Zu-
letzt 1. Januar 1897, weil er seitdem in ein anstän-
diges Mädchen verliebt ist. Häufige frustrane Erre-
gung, sexuelle Träume.
Hy. An.*
Gesteigerte
Patellar-
reflexe.
Gesteigerte
Patellarre-
llexe. Hypo-
chondral-
schmerz.
Nach dem Tripper einige Monate enthaltsam aus Angst
vor erneuter Ansteckung. Dann wieder normaler Ver-
kehr, seit 5 Monaten verlobt, ganz enthaltsam, giebt
gelegentliche Masturbation zu.
Masturbiert seit 4 Jahren.
Nihil.
Früher normaler Coitus. Seit \l/2 Jahren verliebt,
jetzt anständig verlobt, ganz abstinent.
An. Ne.
Ne.
An.
* Hy. = Hysterie, An.
Angstneurose, Ne. = Neurasthenie.
14
Nu.
Name und
Stand
Er-
Altcr krankt
seit
Heredität
und frühere
Erk ran kung
S u bj ek t i v e Beschwerden
6.
9.
\gathe L.,
Wittwe.
50 8 .1.
Franz W.,
Postamts-
dicner.
Karl S.,
Diener.
Barbara
S., Korb-
tl echterin.
21
23
41
10.
11.
12.
Engelbert
P., Zeich-
ner.
Anna W.,
Köchin.
August J.,
Kommis.
Elise S., 35 Nov.
Wittwe, 18%.
Näherin.
Jahre.
O 1
O J.
31 8 Mon.
31
18
6 J.
Jahre.
Nihil.
Nihil.
Nihil.
Nihil.
Bruder an
Paralyse j.
Nihil.
Magenschinerz, Kreuzschmerz, llie-
Vor 10 Jahren
Gehirner-
schütterung,
Vater nervös
gende Hitze.
I Icrzkloplcn, Magenschmerz (sehrguter
Appetit), zeitweiligZittern im rechten
Arm und Bein.
Herzklopfen, Magenschmerz.
Mattigkeit, Kopfschmerz, allgemeine
Unlust.
Ist als Kind immer schwächlich ge-
wesen. Periode mit 1-4 Jahr, immer
regelmäss. 1890 verheiratet. 1893/94
Kreuzschmerzen, Mattigkeit in den
Beinen. Jan. 1892 1. Kind. August
1892 Abort. Septemb. 1893 3. Kind.
Während der Schwangerschaften und
kurz nach denselben ging es ihr im-
mer gut; kurz nach der letzten Ge-
burt Descensus uteri, Pessar. Seit
1 894 halbsei t iger K op fschmerz, 1 eich te
Angstvorstellungen unbestimmterArt,
die sie dem Manne gegenüber immer
als Herzklopfen erklärt. Fast zur
selben Zeit wie die Kopfschmerzen
hat sie Magendrücken. Tageweise
geht es ihr ganz gut.
Angst, Beklemmung, Unruhe.
Angst, Beklemmung.
M a gen -K op fscli m erz , M attigk eit.
15
Somatischer
Befund
Hypochon-
dralschmerz.
Nihil.
Hypochon-
dralschmerz.
Sexual b e z i e h u n g c n
Diagnose
Seit 8 Jahren, nach dem Tode des Mannes, noch sehr
sinnlich erregt, folgt öfters am Tage dem Drange zu
masturbieren.
Ne.
War 12 Jahre verheiratet. 1 Kind mit 2 Jahren an
Diphtherie j. Mann erkrankt Oktober 1896. j No-
vember 1896. Seitdem kein sexueller Verkehr, aber
Masturbation.
Xe.
Masturbiert stark.
Ne.
Gesteigerte
Patellarre-
ilexe. Hypo-
chondral-
schmerz.
Patellar-
reflexe leb-
haft. (Descen-
sus uteri gy-
näkologische
Klinik).
Masturbiert seit Jahren.
Mit 19 Jahren erster Coitus. „Wie jedes junge Mäd-
chen habe sie manchmal Verkehr mit ganz guter Be-
friedigung gehabt.“ Seit 1887 reservierter Verkehr
mit dem Manne. Nach der Hochzeit 1890 hat er nor-
mal mit ihr verkehrt, „weil der Coitus interruptus
Sünde sei“ ; jedoch nach dem Abort 1892 kurze Zeit
Coitus int., sobald sie gravid war wieder normaler
Verkehr. Seit dem letzten Kinde hat sie fast gar
keine Empfindung mehr, weil ihr Mann viel eher zur
Befriedigung gelangt, trotzdem fühlt sie sich immer
einen Tag nach dem Coitus wohl und frei von Kopf-
schmerzen.
Xe.
An. Ne.
Nihil.
Fast völlige Abstinenz wegen Krankheit der Frau seit
einem Jahr.
An.
Nihil.
Hypochon-
dralschmerz.
Seit Jahren verlobt, hält sich anständig, Bräutigam
regt sie oft sexuell auf.
Masturbation.
An.
Ne.
16
Nu.
Nanu* und
Stand
Alter
hr-
k rankt
seit
Heredität
und frühere
Erkrankung
S u bj e k t i v e Besch w erden
14.
15.
16.
Peter k\,
Lehrer im
Gebirge.
3 1
Franz II., 25
Friseur- !
gehill’c.
Anna II., 33
Ilaus-
ineisterin.
Ciicilie C., 44
uuipi
manns-
gattin.
t .
•los. W., 22
IIolz-
aul’sehcr.
18.
19.
Rudolf L.,
Form-
stechcr.
Karl 11.,
A rbeiter.
54
Jahre.
2 .1.
Seit
14 To-
heftig.
Vater und
Bruder
nervös.
Nihil.
Mattigkeit, Pollutionen.
Iah re.
Nihil.
Vater nervös,
mit 7 Jahren
„Nervcn-
fieber“, i. e.
A ulregung.
Mit 10 Jahren
»Kopf-
typ h us“.
4 — 5J. Tripper,
1V2 J.
4 J.
Nor 12 Jahren
selbe Er-
krankung.
Vater und
zwei Brüder
nervös.
Plötzliches Zittern und Angstgefühl,
seit 14 Tagen dadurch im Beruf ge-
stört.
Kopf- und Magenschmerz, Schwindel,
leichte Angstanfälle.
Häufige Verstimmung seit dem Tode
des Vaters vor 16 Jahren, „was soll
aus mir werden, wenn Mutter und
Mann sterben.“ Angst, Unruhe, Un-
lust, Gedächtnisschwäche (d. h. sic
merkt, dass sie zwischendrinn immer
an etwas anderes gedacht hat).
Manchmal morgens Erbrechen,
schreibt melancholische Briefe, Tä-
dium vitae.
Magen-, Kopfschmerz, Mattigkeit, Ge-
dächtnisschwäche.
Allgemeine Angst, besonders Nachts,
leichte Ermüdbarkeit, Abspannung
ziehende Schmerzen in den Beinen.
Ilerzkloplen, Kreuz-, Magenschmerzen.
17
Somatischer
Befund
Gesteigerte
Patcllarre-
llcxe. Ifypo-
chondral-
schmerz.
Gesteigerte
Patellar-
rcllexe.
Nihil.
Nil
’eriode
oft unregel-
mässig in den
letzten sechs
Wochen 4mal.
Hypochon-
dralschmerz.
Gedächtnis
bei Prüfung
sehr gut.
Nihil.
Nihil.
Sexualbezieh unge n
Onaniert seit seinem 20. Jahre. Nie coitiert.
Seit 2 Jahren verlobt. Coit. int. mit Condom. Braut
auch „nervös.“
Keine Befriedigung wegen Dicke des Mannes, von ihm
manchmal masturbiert.
Ist schon in iungen Jahren von Schulfreundinnen über
Sexualleben aufgeklärt worden. Mit 14
trat
Periode auf und damit sexuelle Erregung von 17
die
bis
23 Jahren eine „heilige Liebe“
zu einem Manne, der
sich herablassen wollte, sie zu heiraten. Als dann
der iy2 Jahre ältere Bruder das grosse Vermögen
vergeudet, löste sich die Verlobung auf; grosse Ent-
täuschung und Aufregung. Der Tod des Vaters, an
dem sie besonders hing (28 Jahre) hat sie bis heute
deprimirt. Vom 23. bis 36. Jahre hat sie sexuellen
Verkehr sehr entbehrt (vorher nicht). Mit 36 Jahren
heiratete sie einen damals 52jähr. Ilauptmann. Zwei
Kinder 7 u. 5 Jahr.
Oft mangelnde Befriedigung.
Masturbation
Seit 12 Jahren verheiratet,
Frau 3 Jahr Coit. int. 2
übte vor der Ehe mit der
Kinder, 11 u. 5 Jahre. In-
folge schlechter Vermögens Verhältnisse seit 2 Jahren
wieder Coit. int. Aus Rücksicht auf die Frau zieht
er den Act so lange wie möglich hinaus.
Masturbation.
Diagnose
Ne.
An.
Ne. An.
Hy.
Ne.
An.
Ne.
Gattei, Sexuelle Ursachen der Neurasthenie.
18
Name und
Er-
Heredität
No.
Stand | Alter
krankt
u. frühere Er-
Subjective Beschwerden
seit
krankungen
20.
21.
-»
23.
24.
Rud. P.,
Bahn-
assistent.
Anna P., I
Frau des !
Vorigen.
Const. P.,
Obergym-
nasiast.
26
24
20
Nihil.
Nihil.
Angst.
Julius S.,
Lehrer
vom
Lande.
Karl R.,
Photo-
graph.
29
28
12 .1.
Vater und
Mutter nervös,
vor 5 Jahren
Ohrenleiden.
Ein Bruder
im Irren-
haus *j\
Kinder-
kran kheiten.
Angst, unmotivierte Zanksucht.
Schwindel, Mattigkeit, zeitweilig Zit-
tern in den Händen, Nachts Pollu-
tionen; auch bei anstrengenden
Spaziergängen bekommt er durch die
Reibung des Penis Pollutionen. Stets
schlecht gestimmt, verträgt sich nicht
mit dem Vater.
Allgemeine Unruhe, Schmerzen im
ganzen Körper, Pollutionen.
I in Sept. 1896 zuerst zum Arzt wegen
heftiger Kopfschmerzen und Schwin-
delanfälle. Ls wurde ihm momentan
übel, alles drehte sich, gestürzt ist
er nie; Platzangst. Ausserdem hef-
tige Kreuzschmerzen. Diese Klagen
sind bis heute unverändert dieselben.
25.
Bernh. S.,
Buch-
halter.
Johann F.,
Bau-
polier.
24
Jahre.
Früh. Magen-
Allgemeine Schwäche, Schwindel,
leidend, ging
ohne Erfolg
Schwitzen.
von einem
Arzt zum
andern.
89
1 J.
Tripper.
Schwindel, Mattigkeit, Magenschmerz,
Obstipation.
19
Somatischer
Befund
Nihil.
Nihil.
Sexualbeziehungen
Diagnose
Seit 3V2 Jahren sind beide miteinander verheiratet; um An.
keine Kinder zu bekommen, haben sie seit der Hoch-
zeit Coit. int. geübt; er hat keine Rücksicht auf ihre
Befriedigung genommen und sie höchst seilen eine An.
solche verspürt.
Nihil.
Hypochon-
dralschmerz.
Beim Be-
klopfen d. Da-
tei larseh neu
zittert er heftig
am ganzen
Körper. Nach
der Aufforde-
rung sich zu-
sammen zu
nehmen, zeigt
es sich, dass
die Patellar-
rellexe kaum
gesteigert
sind.
Nihil.
Er hat eine sehr deutliche Erinnerung davon, dass er
schon mit 4 Jahren einem etwas älteren Mädchen an
die Genitalien gegriffen hat, er hat nie masturbiert
oder coitiert — aus Aversion gegen alles Sexuelle un-
gefähr seit der Pubertät. Seit dem Beginne der
Pollutionen vor 3 Jahren schläft er zur Controlle mit
seinem Vater in einem Bett.
Als Kind schon masturbiert. Dann sehr starke sexuelle
Ausschweifungen mit Retractio. Jetzt verliebt, frus-
trane Erregung mit Pollution. Hin u. wieder Mastur-
bation.
Vom 16. bis 24. Jahre lebhaft masturbiert, dann hat
er ein Verhältnis gehabt und um das Mädchen nicht
zu schwängern, dauernd Coit. int. geübt, jedoch mit
Rücksicht auf Befriedigung des andern Teiles. Ejacu-
lation tritt sehr schnell bei ihm ein. Infolge seiner
Aengstlichkeit will er gar nicht mehr coitieren, je-
doch nötigt ihn das Mädchen dazu.
Früher hat er sehr stark masturbiert, unterlässt dies
jedoch seit einem Jahre, seitdem er verlobt ist.
Coitiert auch nicht.
Hy.
Hy. An. Ne.
Ne. An.
An.
Lebhafte
Pate 11 ar-
reflexe.
2 Kinder. Seil dem letzten (2 Jahr) verkehrt er, da
die Frau jetzt kränklich ist, nur alle 2—3 Monate
mit ihr, sonst Masturbation.
9 *
An.
No.
Name und
Stand
Alter
Er- Heredität
krankt u. frühere Er-
S u bject i v e Bes ch wer de n
seit krank an gen
Herrn. S.,
M usiker.
45
Viele
Jahre.
N or 7 Jahren
J^ues.
Klagt über Pollutionen und über
Schmerzen nach sexueller Erregung.
Fanny F.,
Dienst-
mädchen.
27
37a J.
Schwere Ge-
burt vordJahr.
(Craniotomie)
Angst, Kopfschmerzen, Gedächtnis-
schwäche.
Jakob H.,
ltabinats-
Schüler.
20
2 J.
Keine.
Abgesehlagenhcit, Kopfschmerz, Nach-
lass des Gedächtnisses, Obstipation.
Jakob H.,
Buch-
halter.
22
Viele
Jahre.
Typhus v or9 J.
Vater soll sehr
nervös gewe-
sen sein, dsgl.
ein Bruder.
Magenschmerz, Kopfschmerz, Hitze-
gefühl im ganzen Körper, früher
stark obstipiert.
Werte T.,
Hausie-
rers frau.
39
3A J-
Leidet seit der
Verheiratung
vor 15J.an He-
micranie mit
Flinunern„wie
die Mutter“.
Herzklopfen, unbestimmtes Angstge-
fühl, Mattigkeit.
Eduard B.,
Contorist.
23
l J.
War früher ein
gesund., kräf-
tiger Mensch ;
mit 21 Jahren
acquirierte er
in Amerika
eine Gonor-
rhoe, sonst nie
krank ge-
wesen.
Mattigkeit, Energielosigkeit, Magen-
beschwerden, Stu h 1 verstopfu ng.
Fanny C.,
Tischlers-
gattin.
29
1 J.
Fluor albus.
Leidet seit einem Jahr an Verstim-
mung, allgemeiner Angst und Kopf-
schmerzen, die besonders zur Zeit
der Periode stärker werden. Abends
oft Hitze- und Kältegefühl im
Rücken.
28.
29.
30.
31.
32.
33.
*21
Somatischer
Befund
Sexualbezieh u n g e n
Patellarreflex
links herabge-
setzt. Pupille
reagiert links
träger als
rechts.
Hat nie masturbiert; immer regelmässig mit Frauen
verkehrt, in letzter Zeit hat er beim Coitus Ejacu-
latio praecox ohne Erectio und gleich darauf heftige
Schmerzen in den Beinen ; kommt es dagegen zur
lmmissio und regelrechten Ejaculatio, dann hat er
keine Schmerzen.
Diagnose
a.
Nihil.
Sexuell sehr libidinös, aber seit der damaligen Ent-
bindung vollkommen abstinent.
An.
Gesteigerte
Patellar-
reflexe.
Gesteigerte
Patellar-
reflexe.
Nihil.
Druck-
emplindlich-
keit im Hypo-
chondrium,
gesteigerte
Patcllar-
rellexe.
Fluor albus
(Gynäkolog.
Klinik.)
Masturbiert seit 4 .fahren sehr stark, noch kein Coitus.
Ne.
Von Jugend auf masturbiert. Verkehrt selten mit Pro-
stituierten. Masturbiert zur Zeit stärker.
Ne.
Sie hat 9 Kinder, 5 am Leben, das letzte l1^ Jahr alt. An. (und Mi-
Die letzten 4 Kinder sind unbeabsichtigt. Jedes Mal grüne),
sobald sie gravid wurde, Hess sic ihren Mann nicht
mehr zu; that sie es hie und da doch, so musste er
wenigstens Coit. int. üben. Es kommt bei ihr zur
Erregung, aber nie zur Befriedigung.
Bis zum 21. Jahre, ehe er Gonorrhoe hatte, verkehrte
er normal. Aus dem Krankenhaus in Amerika ent-
lassen, fand er nicht gleich Stellung, es ging ihm
sehr schlecht; Geld fürPuellae hatte er nicht u. „da
ohneGeld drüben kein Verhältnis zu haben wäre“, be-
gann er zu masturbieren bis auf den heutigen Tag.
Auch hier nach seiner Rückkehr geht es ihm sein-
schlecht, infolge seiner Energielosigkeit traut er sich
in keine Stellung, verdient nichts u. meidet indessen
auch jedes weibliche Wesen.
Ne.
Seit IG Mon. verheiratet. April 1897 Geburt eines as-
phyktischen Kindes, starb G Wochen alt an Schwäche.
Schon seit Beginn der Gravidität Coit. int. wegen
schlechter Vermögensverhältnisse. Der Mann leidet
an Gonorrhoe; sie entbehrt seitdem (15 Mon.) jegliche
Befriedigung, weil der Mann auf sie keine Rücksicht
nimmt.
An.
Xo
Name uti(
Stand
Alter
Er-
i
krank
seit
Heredität
u. frühere Er-
krankungen
Subjectivc Beschwerden
34.
Julius P.,
Apo-
theker.
25
5 J.
Gesunde
Familie. 1894
Ulcus niolle.
Vorher mit
16 Jahren
Tripper.
Seit seiner Einjährigen-Zeit 1892 fühlt
er sich fast dauernd krank, damals
war er 2 Jahre in Wien. Die Haupt-
beschwerden waren Schmerzen im
Kreuz, „als ob ihm ein Eisen in
das Rückgrat geschraubt würde“ und
Schwäche. In Komorrn 1894 Ulcus
molle; grosse Mattigkeit, dauerte auch
noch 1895 in Miklos an, dort began-
nen auch seine Angstanfälle, die hier
in Wien (seit 1896) fortdauern. Er
traut sich nicht in Kondition zu
gehen, weil er fürchtet, in der Zer-
streutheit die Rezepte falsch anzu-
fertigen. Ganz plötzlich macht er
sich Pläne, er möchte sehr reich sein
oder auswandern. Beim Essen
schnürt es ihm dicKehle zusammen,
aul derStrasse fangen manchmal die
Häuser zu wanken an. Kreuzschmer-
zen hat er jetzt nur noch selten,
seine Hauptklagen sind Mattigkeit,
Scheitel- und Ilinterhauptschmerz.
Ferner leidet er an Pollutionen
(schon seit 6 Jahren) und wie er
glaubt an Impotenz. Stuhl und
Appetit, besonders seit einem Jahre,
sehr schlecht.
35.
Hernli. S.,
Tech-
niker.
22
3 M.
Vater und
Mutter nervös.
Abends vor dem Einschlafen Krampf
im rechten Arm und linken Bein oder
linken Arm und rechten Bein, dabei
Abduktion der Zehen oder Finger;
Angst, Beklemmung.
36.
Aloisia F.,
Dienst-
mädchen.
31
3 M.
Operiert weg.
Retroflexio
und Retro-
fixatio.
An Ilallucinationen streifende Empfin-
dung von Eindringen eines männ-
lichen Gliedes in ihre Scheide.
Sehr starke Erregung hervorrufend;
glaubt oft infolgedessen verfolgt zu
werden.
Somatischer
Befund
Anämisch.
Gesteigerte
Patellar-
rellexe.Druck-
empfindlich-
kcit im Hypo-
chondrium.
Nasen-
polypen.
Nihil.
Sexualbeziehungen
Mit 11 Jahren sexuelle Spiele mit Knaben. Von 14 bis
IG .Jahren sehr stark masturbiert. Dann hörte er auf,
bekam einige Male Pollutionen und ging darauf (1888)
in Pest sehr viel in Bordelle. Damals bekam er gleich
einen Tripper, verkehrte aber ruhig weiter. 1891 93
wohnte er bei einer Wittwe, mit der er jeden Abend
verkehrte. 6 Mon. hat er Condom gebraucht, dann
machten sie sich beide „mit dem Gedanken befreundet“
und er übte protrahierten Coitus, da er stets eher be-
friedigt war als die Wittwe. 1893 als Einjähriger
fühlte er sich schon krank u. gebrauchte manchmal
Condom, in Komorrn besuchte er 2mal wöchentlich
Bordelle; nach dem Ulcus molle hat er nur 14 Tage
ausgesetzt. In AI ik los Verhältnis mit Stubenmädchen;
2 mal wöchentlich Coit. int. Seit 1896 hier wieder
Bordelle. Seit der Einjährigen Zeit ist er fast ganz
anästhetisch , geringe Erection und oft gar keine
Ejaculation. Fast nach jedem Coitus berührt er die
Genitalien und auch immer Nachts um einzuschlafen.
Besinnt sich, dass er schon als Kind oft Erectionen
gehabt hat u. sehr zeitig zu masturbieren angefangen,
seit 4 Jahren Verhältnis, mit dem vor einigen Monaten
Zerwürfnis, jetzt ganz abstinct.
Keine Jugenderinnerungen. Vor G Jahren ein Kind;
seitdem kein Verkehr; schwere sexuelle Träume.
Stets Bedürfnis zu coitieren.
Diagnose
Hy. Ne.
1 ly. An.
Hy.
(Paranoia?)
No.
Name und
Stand
Er-
Alter krankt
Heredität
u. frühere Er-
Subjective Beschwerden
seit
krankungen
38.
39.
40.
41.
Karl M.,
Buch-
händler.
42.
43.
Moses N.,
Tagelöhner
Louise R.,
Be-
dienerin.
•loseph.B.,
Pflaste-
rersfrau.
Marie M.,
Arbeiter-
frau.
•Joseph K.,
Ci reisler.
Joseph B.,
Agent.
28
20
32
31
27
34
48
Nihil.
Impotenz, Magcnschmcrz, Mattigkeit.
3 .J.
3 M.
Nihil.
Allgemeine Unruhe, Kopfschmerz
Magenschmerz.
Als KindCho- Schmerzen in allen Gelenken. Mattig-
rea, vor 7 Mon.
Metritis.
Nihil.
2 M. Vor der Ehe
Magen -
schmerzen.
Nihil.
kcit.
frühst.
Ju-
20— 29 Jahre
lang chroni-
scher Magcn-
katarrh (?).
Kopfschmerzen, Schwindel, allge-
meine Angst.
Kopfschmerzen, sehr starke Periode.
Ziehen in den Armen und Beinen.
Angst, zwangsweise lästiges Nach-
denken über Namen und ähnliches,
dies quält ihn ebenso wie vor neun
Jahren.
Somatischer
Befund
Sexualbeziehungen
Diagnose
Gesteigerte
Datei lar-
rellexe, Hypo-
chondral-
schmerz.
Hypochon-
dralschmerz.
Hypochon-
dralschmerz.
Nihil.
Mit 8 .fahren musste er die Genitalien eines Mannes
berühren, die Details sind ihm nicht mehr gegen-
wärtig, von diesem wurde er auch zur Masturbation
angehalten, doch hat er bald wieder aufgehört *und
erst später wieder begonnen. Er glaubt, dass er un-
gefähr mit dem 15. .Jahr wieder angefangen hat. Mit
22 Jahren auf Anraten von Freunden erster Coitus.
Impotenz. Aus Scham 2 Jahre pausiert, da seitdem
gelegentliche Versuche stets negativ ausgefallen sind,
folgte er dem Zwange zu masturbieren.
Masturbiert seit dem 10. Jahre sehr stark, nie mit
Frauen verkehrt.
Ihr Mann hat eine Hernie und verkehrt deswegen nicht
mit ihr. Sie ist sehr sexuell erregt und lässt sich
masturbieren und masturbiert sich selbst.
Sie hat 7 Kinder, seit dem letzten Kind vor 3 Jahren
C'oit. int., mangelnde Befriedigung.
Hy. Ne.
Ne.
Ne.
An.
Leichte Stru-
ma, Herz ge-
sund, etwas
anämisch.
Gesteigerte
Patellar-
reflexe.
Nihil.
(Im Ambula-
torium für
Magen k ranke
negativer Be-
fund.)
Vor der Ehe masturbiert. Ein Kind von 10 Mon. Seit
einigen Monaten Coitus reservatus, trotzdem der Mann
oft auf sie Rücksicht nimmt, mangelt ihr doch meist
die Befriedigung.
Seit 12 Jahren verheiratet, immer fast täglich verkehrt,
um ein Kind zu zeugen. Macht sich Sorgen, weil
seine beiden Brüder auch keine Kinder haben.
Mit dem 3. Lebensjahre von einem löjähr. Mädchen
verführt, spielte er mit andern Kindern immer sexuelle
Spiele und masturbierte bis zum 15. Lebensjahre, es
wäre auch möglich, dass irgend ein Familienglied
mit ihm sexuelle Acte vorgenommen, doch besinnt er
sich nicht genau darauf. Mit 17 Jahren erster Coitus
ohne Befriedigung, v. Jaksch in Prag hat schon vor
einer langen Reihe von Jahren sein Magenleiden aul
Masturbation zurückgeführt. Später legte er sich beim
normalen Verkehr Zwang auf, trotzdem er wusste,
dass sein Verhältnis wegen einer Mctritis keine Kinder
bekommen könne. Jetzt ist er seit 97 mit einer viel
älteren Frau verheiratet, die einen erwachsenen Sohn
aus erster Ehe hat; sie ist durchaus kalt und an-
ästhetisch und im Verkehr mit ihr kann er trotz
Erection und Ejaculation keine Befriedigung linden.
An.
Zweifelhaft.
Hy- An.
No.
Name und
Stand
Er-
Heredität
Alter
krankt
u. frühere Er
seit
krau klingen
S u bj c c t i v c B es c h \v erden
-14.
Ludvv. X.,
Sclmeider-
gehilfe.
27
3 .1.
Fraisen als
Kind.
Schwäche im ganzen Körper seit 3 .J.
.Mit 8 d. hat er sehr grosse Furcht
gehabt und angeblich aus Furcht
Fraisen bekommen. Ein paarmal ist
er in der Jugend bewusstlos gewesen;
sein Vater war Küster auf dem Lande
und nachts musste der Junge die
Glocken läuten. Um ihn zu er-
schrecken, haben einmal die Bauern
Leintücher angezogen und einmal ist
ihm nachts vom Thurm eine Katze
auf den Kopf gefallen (10. Lebens-
jahr). Von jeder Kleinigkeit bekommt
er Angstgefühl, im geschlossenen
Kaum stärker als auf der Strasse, er
fürchtet sich, er müsse sich um-
bringen etc.
45.
Gustav V.,
Schneider.
27
3 .J.
Tripper.
Kopfschmerz, Magenschmerz.
4(5.
Johann L.,
Kellner.
30
2 M.
Nihil.
Schmerzen in allen Gliedern, Angst.
i < .
Feld. K.,
Privat-
beamter.
52
.1 .1.
Als Kind
Blattern,
schwerhörig.
Schmerzen im Leib, allgemeine Un-
ruhe.
48.
Anna II.,
Hand-
arbeiterin.
24
2 .1.
Nihil.
Angst, oft unruhig und erregt. Vor
8 Tagen Zahn gezogen, trotzdem
die davon herrührenden Schmerzen
vorüber sind, hat ihre Erregung
noch nicht nachgelassen.
49.
Anna L.,
Hausbe-
sorgerin.
39
Leidet seit einem Jahre an Kopf-
schmerzen (besonders am Hinter-
kopf), der stets beim Stuhlgang auf-
t ritt. Zur Zeit der Periode stärker,
ausserdem Herzklopfen und Beklem-
mung.
Somatischer
Befund
Sexualbezieh u n g e n
Diagnose
Nihil.
Vor dem 10. Lebensjahre fing er an sehr stark zu
masturbieren, setzte es ununterbrochen bis zum
18. Jahre fort; dann erster Coitus, dann wieder
Masturbation, bis vor 4 Jahren, seitdem Coit. int.
Hy. An.
Gesteigerte
Früher normaler Coitus. Aus Angst vor erneuter In-
Ne.
Patellar-
rellexe.
fection masturbiert er seit 3 Jahren.
Nihil.
Seit der Geburt des 2. Kindes übt er jetzt, um die Frau
nicht wieder zu schwängern (1 Jahr), Coit. int. ohne
Befriedigung.
An.
Nihil.
Seit Jahren wiederwilliger und vergeblicher Verkehr
mit der bedeutend älteren Frau. Wohl aber Be-
friedigung bei Excessen.
An.
Nihil.
Hat seit 3 Jahren ein Verhältnis, verkehrt mit Vorsicht
um nicht schwanger zu werden; eine rechte Befriedi-
gung hat sie fast nie, weil sie während des Verkehrs
immer an die unangenehme Möglichkeit einer
Empfängnis denkt.
An.
Nihil.
Sie ist seit dem 29. Jahre verheiratet, das erste Kind
starb ein Jahr alt an Diphtheritis, hat noch 3 gesunde
Kinder, das jüngste 3 Jahre. Nach der Geburt hat
der Mann Coit. int. geübt, sodass sie keine Befriedi-
gung mehr hat. Seitdem hat sie auch oft wüste,
sexuelle Träume.
An.
No.
Name und
Stand
Alter
Er-
k rankt
seit
Heredität
u. frühere Er-
krankungen
Subjective Beschwerden
50.
L. 0.,
Köchin.
55
1 J.
Nihil.
Angst, Herzklopfen, Schmerzen vom
Magen aus.
51.
Klara S.,
Näherin.
32
4 J.
Nihil.
Kopfschmerz, Magenschmerz.
52.
Klara S.,
(Nichte d.
Vorigen)
Schnei-
derin.
50
5 J.
2 tote Kinder.
Kopfschmerzen, Unruhe, Angst, Druck
um den Gürtel nach eigener Angabe
vom starken Schnüren.
55.
Johann K.,
Kellner.
IS
2J.
Nihil.
Klagt über häufige Kongestionen.
Kopfschmerz, Mattigkeit, Druck im
Magen, trägen Stuhl. Voriges Jahr
im Sommer hat er sich im Gebirge
als Aushilfskellner sehr wohl ge-
fühlt, nach seiner Rückkehr began-
nen seine Klagen wieder.
54.
Leop. R.,
Köchin.
27
1 J.
Nihil.
Unlust zur Arbeit, stets müde, Magen-
beschwerden, Schwächegefühl in den
Beinen.
55.
Resie J.,
Ar-
beiterin.
29
4 M.
Nihil.
Kopfschmerz, Zittern, Angst.
Somatischer
Befund
S e x u al b e z i e h u n g c n
Diagnose
Aeusserst
kräftige Per-
son. (Wegen
Fluor albus
seit 1 Jahr
gynäkolog.
Ambulat.)
Seit 24. .Jahr sexuel. Verkehr. Verhältnis, gleich Coil.
int. trotzdem 3 Graviditäten. Abtreibung 2X3. Mon.,
1X1. Monat. Letzter Abort September 1891, weite-
rer Verkehr bis 1893, bis „er“ sich verheiratete.
„Er“ war immer früher fertig als sie, sodass sic
jahrelang keine Befriedigung hatte. Nach dem Ver-
hältnis hat sie eine Zeit lang stark masturbiert,
was sie jetzt seit dem Fluor nicht mehr tliut. Sehr
sexuelle Träume, immer sexuell erregt, ohne jede Be-
friedigung.
Nihil.
Seit 8 Jahren Wittwe, masturbiert in den letzten Jahren
sehr stark.
An.
Ne.
Nihil.
Schon mit 13 Jahr verheiratet (Galizien). Ungenügende
sexuelle Befriedigung, da der Mann in den letzten
Jahren nicht mehr leistungsfähig ist.
An.
Lebhafte Pa-
tellar rcllexe,
Hypochon-
dralschmerz.
Libido mit 14 Jahren erwacht; in ein Kiichenmädchen
verliebt, jedoch keine sexuelle Beziehung. Mit
15 Jahren begann er täglich zu masturbieren.
Während des Aufenthaltes im Gebirge schlief er
vier Wochen mit zwei anderen Kellnern im Zimmer
und liess die Masturbation. Hat sich auch dann
noch derselben 14 Tage enthalten. Dann begann
er wieder fast täglich zu masturbieren, noch kein
Coitus.
Ne.
Patcllar-
reflexe
etwas ge-
steigert,
Hypochon-
dralschmerz.
Bis vor lWo Jahren Verhältnis mit normalem Verkehr,
stets gesund; nach Lösung desselben sexuell sehr be-
dürftig, masturbiert sie seitdem; sexuelle Träume.
Ne.
Nihil.
4 Kinder, jüngstes 6 Monat. 6 Wochen nach letzter
Entbindung Coit. int. ohne Rücksicht seitens des
Mannes.
An.
30
No
Name und
Stand
Alter
Er-
krank
seit
Heredität
u. frühere Er-
krankungen
56.
Fanny G.,
Näherin.
26
4 J.
Nihil.
57.
Jakob K.,
Herren-
schneider.
57
1 J.
Selbe Erkran-
kung vor
3 Jahren.
58.
Lolla S.,
Modistin.
20
3 J.
Nihil.
59.
Herrn. P.,
Stickerin.
20
1 J.
Nihil.
60.
Joh. K.,
Ver-
käuferin.
20
8 .1.
Vor 8 Jahren
Fall auf den
Kopf.
61.
Eduards.,
Sch reiber.
28
3 M.
Kinderkrank-
heiten. Vor
7 Jahren
Magenleiden.
Subjective Beschwerden
i Mit 14 .lahren trat Periode zuerst auf,
während dem fiel sie mit den Geni-
talien aut eine Stuhlkante, die Bin-
tungen blieben aus und kehrten erst
im 17. Jahre wieder, von da an
regelmässig. Seit dem 22. Jahre
fühlte sie sich krank, Schmerzen in
der Magengegend, schlechter Appe-
tit, Kopfschmerz, besonders in der
Schläfengegend. Weihnacht 1896
wegen Vaginismus operiert, seitdem
hat der Magenschmerz aufgehört;
dagegen Kreuz- und Schulterblatt-
schmerzen im Mai diesen Jahres an-
gefangen, dazu kommen Unruhe und
unbestimmtes Angstgefühl. Tage-
weise ist sie von den Beschwerden
frei.
Allgemeine Angst, besonders auf der
Strasse, Schwindel. Kribbeln in den
Füssen, sodass er sich zeitweilig
hinsetzen muss.
Allgemeiner Kopfschmerz, Magen-
schmerz.
Kopfschmerz, Schwindel, allgemeine
Angst.
Schlaflosigkeit, Kopfschmerz, allge-
meine Angst.
Schmerzen in der Wirbelsäule, Magen-
schmerzen.
31 —
Somatischer
Befund
S e x u a 1 b e z i e li u n g e n
Diagnose
Nihil.
Schon als kleines Kind, es könne im 8. Jahr gewesen
sein, hätte sie gar nicht stehen können, weil sie ein
Gefühl gehabt, als ob sie ein Messer in den Geni-
talien hätte, das sie bei jeder Bewegung schneide;
sie hat „die Geschlechtsteile hineindrücken müssen“
oder mit kaltem Wasser übergossen und sich dann
Hy. An.
besser gefühlt, Masturbation wird energisch in Ab-
rede gestellt. Mit 19 Jahren lernte sie den Bräutigam
kennen; 1 Jahr lang hat er sie in Ruhe gelassen,
dann wollten sie verkehren, da sie aber stets Scheiden-
krampf bekam, war dies unmöglich. So hat sie faute
de mieux ihr Bräutigam bis zur Operation masturbiert.
Nach der Operation ging die Immissio glatt von
statten, dagegen fehlt ihr wegen Coit. int., bei dem
„er“ keine Rücksicht auf sie nimmt, jegliche Befriedi-
gung. Wenn sie manchmal 14 Tage nicht verkehrt
haben, geht es ihr besser.
Nihil.
Früher Jahre lang Coit. int., dann 2 Jahre
jetzt seit 1 Jahr wieder. Rücksichtsvoll
Frau.
pausiert,
gegen die
An.
Hypochon-
dralschmerz,
gesteigert. Pa-
tellarreflexe.
Heftige Masturbation seit dem 16. Jahre.
Nihil.
Nihil.
Patellar-
reflexe,
Hypochon-
dralschmerz.
Seit l1^ Jahren Verhältnis, übt um nicht schwanger
zu werden Coit. int., der sic sehr aufregt, aber nicht
befriedigt,
Ihre sexuelle Entwicklung ist zeitig eingetreten. Periode
schon mit 13 Jahren. Ebenso begannen die Brüste u.
die Schamgegend sich sehr bald zu entwickeln. Zeitig
traten sexuelle Träume ein, häufige sexuelle Erregung
beim Anblick von Männern. Nicht eruierbar ob in
ihrer frühesten Jugend irgend welche sexuelle Ein-
wirkungen vorliegen.
Bis vor 7 Jahren masturbiert, dann bis vor 1 Jahre
Coit. int. Da er aber selbst glaubte, dass dies ihn
zu sehr aufrege, stellte er ihn ein, verkehrt jetzt nur
selten mit Prostituierten. Masturbiert aber wieder.
Ne.
An.
Ily.? An.
Ne.
No.
Name und
Stand
Alter
Er-
k rankt
seit
Heredität
u. frühere Er-
kran klingen
62.
Leon. M.,
Hand-
arbeiterin.
32
7, j.
Nihil.
66.
Marie L.,
Privatiere.
21
1 J.
Nihil.
6J.
Max 11.,
Kauf-
mann.
27
2 J.
Ganze Familie
nervös, Vater,
Mutier, 2 Brü-
der,! Sch west.
Vor 8 Jahren
Pneumonie.
65.
Ignaz P.,
Kauf-
mann.
36
1 J.
Nihil.
66.
Adolf II.,
Con-
ducteur.
27
4 W.
Nihil.
67.
Theros.S.,
Arbeiter.
36
4 J.
Nihil.
68.
Alice M.,
Privatiere.
30
1 J.
Nihil.
(2 Kinder an
Kinderkrank-
heit, f.) Vater
Paralyse y.
69.
Hcinr. S.,
Kutscher.
33
Einige
Woch.
Lues, Bubon.
vor JL2Jahren.
70.
Marie C.,
Hand-
arbeiterin.
26
5 J.
Nihil. Kind im
Alter von 6 M.
im Jan. 97 y.
71.
-Joseph W.,
Schneider.
30
2 J.
Tripper.
72.
Isidor K.,
Agent.
47
Jahre
unbe-
stimmt
Nihil.
Subjeotive Beschwerden
I ’ariist liesien beider Hände, Angst.
Kopfschmerz, Erregtheit, Angst.
Impotenz; im kalten Wasser Erguss.
\\ irbelschmerzen, Magenschmerzen.
Pollutionen, Angst.
Unruhe, Angst, Kopfschmerz.
Kopfschmerzen, Angst, Unruhe.
Allgemeine Angst, Unruhe.
Pampstiges Geliihl, allgemeine unan-
genehme Sensationen.
Kopfschmerz, Angst, Unruhe, morgens
Schwindel.
Angst, Kältegefühl am Rücken.
Angst und Kopfschmerz, Herzklopfen.
33
Somatischer
Befund
Sexualbeziehunge n
Di
agnose
Nihil.
[lat mit 29 .Jahren geheiratet. Das Kind ist zwei Jahre
alt, darauf hat sie gegen die Conception jedes Mal
Ausspülungen gemacht, auf Anraten einer Freundin;
da ihr aber das nicht sicher genug war, übt ihr Mann
Coit. int. seit einem .Jahr; seitdem hat sie wenig Ver-
gnügen davon.
An.
Nihil.
Verlobt, sexuell erregt, verkehrt seit 2 Jahren mit Coit.
int., was ihrem sexuellen Bedürfnis aber nicht genügt.
An.
Nihil.
Schon als Kind onaniert, weiss nicht, wer ihn dazu an-
gehalten, seine Brüder hätten es auch gethan. ln den
ersten Jahren der Ehe (seit 1887) täglicher Verkehr
mit der Frau, keine Kinder. Seit 2 Jahren beim Coitus
keine Ejaculationen mehr.
Hy.
Gesteigerte
Patellar-
reflexe.
Gesteigerte
Pate 11 ar-
rellexo.
Nihil.
Nihil.
Jüngstes Kind 3 Jahre, seit 2 Jahren Coit. int. Auf
Rücksicht auf die Frau pratrahiert, Befriedigung nur
durch Masturbation.
Seit 3 Monaten ganz abstinent, da er fürchtet, von Pro-
stituierten auch eine Lues zu bekommen, wie 2 seiner
Freunde.
Jüngstes Kind 6 Jahre, seit 5 Jahren Coit. int. Schlechte
Verhältnisse, keine Befriedigung.
Schon als kleines Mädchen stark masturbiert, keine
klare Erinnerung. Ist seit 1 J. von ihrem Mann ge-
schieden, seitdem sehr sexuell libidinös, abstinent.
An. Ne.
An. (Ne.?)
An.
Hy. ? An.
Nihil.
Nihil.
Nihil.
Nihil.
Seit 7 Jahren von der Frau getrennt, lebt völlig ab-
stinent.
Seit 6 Jahren Verhältnis, Coit. int. nach der Geburt
des Kindes kein Verkehr mehr, lässt sich nur von
dem „Bräutigam“ frustran erregen.
Pollutionen seit einigen Jahren im Schlaf, seitdem er
an der 8 Jahre älteren Frau keine Befriedigung mehr
findet.
Ausser Nicotin- und Alkoholmissbrauch seit der Ge-
burt des letzten Kindes vor 7 Jahren Coit. int. mit
unvollständiger Befriedigung.
Tabes in ci-
piens.
An.
An.
An.
Gattet, Sexuelle Ursachen der Neurasthenie.
3
34
No.
Name und
Stand
Kr-
Heredität
Alter krankt u. frühere lä-
sen
.Subjektive Besch \ve rcleii
krank ungen
74.
<0.
1 1 ,
18.
71).
Marie Z.,
Wirt-
schafterin.
42
24
Anton. G.,
Arbeiter.
Amalie S., 35
Schneiderin
Rosa F.,
Dienst-
mädchen.
.fahre.
Nihil.
38
1 d.
8 M.
4 M.
Nihil.
Nihil.
Nihil.
Gustav A.
Agent.
Jakob G.,
Kau f-
mann.
Marie B.,
Bank-
kassirers-
frau.
81
1 .J. j Alcoholismus
chronicus.
49 2 J. Rheumat.
articul.
39 2Va
80.
81.
82.
Rudolf F.,
Soldat.
Regina F.,
Pri vatiere.
doseph II.,
Tele-
graphist.
24
Migräne.
3 1.
22 2 J.
40
Meh-
rere
Jahre.
Onkel i. Irren-
haus j. 2 mal
Pneumonie.
Nihil.
Nihil.
I iirulie, Angst, Kopfschmerz.
Kopfschmerz, Angst.
Kreuzschmerzen, Beklemmungen, Un-
ruhe, schlechter Appetit.
Kreuzschmerzen, Beklemmungen.
Schwäche, Mattigkeit, Zittern beim
Schreiben.
Schwäche, Mattigkeit, oft Unruhe,
Seit ca. 7) Jahren grosse Mattigkeit,
energielos; sie geht ungern aus, da
sic auf der Strasse oft ängstliche
Gefühle bekommt. Seit 21/., .1. hat
sich ihre Migräne verstärkt und dazu
noch Magenschmerz, Appetitlosigkeit,
träger Stuhl gesellt, ln dem Ambulat.
iiir Magenkranke wurde keine orga-
nische Krankheit diagnosticiert.
Herzklopfen, häufige Angstanfälle im
Dienst, sodass er nicht mit den Vor-
gesetzten sprechen kann.
Angst.
Kopfschmerzen, Angst, Zittern.
Somatischer
Befund
Nihil.
Nihil.
Gest. Patel-
larrefiexe.
Gesteigerte
Patellar-
retlexe.
Gesteigerte
Patellar-
rellexe.
Nihil.
Erhöhte Pa-
tcllarrellexe.
Nihil.
Gesteigerte
Patellar-
reflexe.
Nihil.
S c x u albe z i e h u n g e n
Diagnose
Vor IG Jahren 2 Kinder, lebt jetzt als Wirtschafterin
bei einem ältlichen Postconductcur. Da sie sehr
libidinös ist, kann er sie durch den Coit. int. nicht
befriedigen.
An.
Hat zwei uneheliche Kinder, seit 2 Jahren jeden Ver-
kehr gemieden, trotz Libido.
An.
Vor 1 Jahr uneheliches Kind, seitdem Coit. int. et
rarus; wegen mangelnder Befriedigung Masturbation.
Ne.
Vor 10 Jahren uneheliches Kind, seitdem abstinent aus
Widerwillen. Seit 3/4 Jahren wieder Verhältnis, von
dem sie sich nur masturbieren lässt.
Ne.
Früher sehr stark masturbiert, jetzt auch noch bei
gleichzeitigem Coit. int., da letzterer ihn nicht be-
friedigt.
Ne.
Bis zum 30. Jahre Masturbation. 3 Kinder, jüngstes
12 Jahre. Seit ca. 4 Jahren trotz grosser Libido ab-
stinent, weil er fürchtet, sein Rheumatismus könne
durch Sexualverkehr in seinen Jahren wiederkommen.
An.
Seil dem 25. Jahre verheiratet, hat sie 2 Kinder,
jüngstes 7 Jahre. Früher normaler Verkehr. Nach
Geburt des letzten Kindes wollte ihr Mann nur noch
Coit. int. ausüben, da ihm seine Stellung kein drittes
Kind erlaubt. Trotz grosser Libido ist sie seitdem
nicht mehr befriedigt. Seit 3 Jahren lässt sie sich
nach dem Coit. von ihrem Manne masturbieren, um
zur Befriedigung zu kommen. Kein häufiger Coitus.
Ne. An.
Als Knabe starke Pollutionen, schon mit 8 Jahren hat
er mit Buben unsittliche Spiele gespielt. Codiert
jeden 2. Tag.
Hy.
Seit 3 Jahren Coitus reservatus mit ihrem Verhältnis,
da keine Befriedigung, berührt sic sich oft nachher
die Genitalien.
An. Ne.
Patient ist seit 17 Jahren verheiratet und hat 10 Kinder.
Wegen schlechter Vermögensverhältnisse übt er schon
seit dem 3. Kinde Coit. int., also seit 13 Jahren. Da
er auf seine Frau Rücksicht nimmt, ist seine Absicht
7 mal vereitelt worden. Bemerkenswert ist, dass er
auch während der Graviditäten seiner Frau nicht
An.
normal coitiert hat.
3*
36
No.
N.'l.
84.
85.
86.
87.
88.
80.
Name und
Stand
Alter
Er-
krankt
seit
Heredität
u. frühere Er-
krankungen
Subjektive Beschwerden
Franz 1.,
Amts-
diener.
41
0 J.
Vor 16 Jahren
Lues.
Schmerzen im ganzen Körper. „Krib-
beln und Zucken in allen Nerven.“
Franz G.,
Typo-
graph.
23
4 .1.
Schwerhörig
durch Scarla-
tina in der
.1 ugend.
Abgeschlagenheit, zeitweilig sehr un-
ruhig und aufgeregt, oft obstipiert,
Magenschmerzen.
Ludw. \V.,
Schneider.
20
6 M.
Vor 3 Jahren
dieselbe Er-
krankung.
Ziehen in den Waden, Schmerzen
zwischen den Schulterblättern.
Leop. W.,
Cafetier.
37
2 .1.
Vor 16 Jahren
Lues : 4 Jahre
darauf
Schmierkur;
war bis vor
2 Jahr, völlig
gesund.
Es begann vor 2 .1. ängstliches Ge-
fühl, Kopfschmerz, und seit einigen
Wochen Kribbeln in den Händen und
Füssen.
Anton B.
15
4—6
Woeh.
Vor 6 Jahren
Sturz v. einem
Wagen, Ge-
ll irnersch (itte-
rung.
Kopfschmerz, Schwindel, Schwäche.
NachimT.,
Hausierer.
42
8—10
•lahre.
Typhus vor
13 Jahren.
Grosse Müdigkeit, Ziehen in den Glie-
dern, Verstopfung, Beklemmung.
Gittel T.,
Frau des
Vorigen.
40
6 J.
Nihil.
Kältegefühl im Kücken, Kreuzschmerz,
allgemeine Angst.
Somatischer
Befund
lieber beiden
Nerv, tibial.
post. Narben
von früherer
Nervendehng.
Sonst normal.
Gest.Patellar-
refl. , Tremor
d. Hände und
Zunge, Hypo-
chondral-
schmerz.
Gesteigerte
Patellar-
reflexe.
Somatisch
nichts. Reflexe
und Sensibili-
tät durchaus
prompt und
normal.
Gesteigerte
Patellar-
reflexe,
Hypochon-
dralsch merz.
Nihil.
Nihil.
Sexualbezieh u ngen
Diagnose
Begann mit 14 Jahren zu masturbieren und setzte dies Hy. Ta.?
bis zum 30. Jahr fort. Im 24. Jahre coitierte er ein-
mal und acquierte Lues; seit seiner Verheiratung vor
11 Jahren ist er oft impotent. Frau nie gravid ge-
wesen. Nur wenn er erfolgreich coitiert, sind seine
Schmerzen geringer.
Vor 6 Jahren erster Coitus, da ihn die Prostituierten Ne.
abstiessen, masturbierte er sehr stark, jetzt auch
Pollutionen.
Hat bis vor 3 Jahren masturbiert und auf Anraten des Ne.
Arztes aufgehört. Dann normal mit Prostituierten
verkehrt, masturbiert jetzt wieder seit 3/4 Jahren.
I Seit 8 Jahren verheiratet. Frau hatte 1 Abort. 2 Kinder An.
gesund, jüngstes 4 Jahr. Kommt Nachts spät aus dem
Geschäft in die Wohnung und muss trotz Müdigkeit
cohabitieren (2 mal wöchentlich). Seit dem letzten
Kind Coit. int. aber um die Frau zu befriedigen, hält
er möglichst lange zurück.
Masturbiert bis dreimal täglich seit seinem Unfall vor
0 Jahren.
Ne. lfy.?
Heiratete mit 18 Jahren, hat 6 Kinder, jüngstes lOJahre. An.
Frau zur Zeit wieder gravid. Schon nach dem zweiten
Kinde (vor 12 Jahren) begann er Coit. int., also vom
3. Kinde ab unfreiwillige Schwängerungen. Er ist
viel von Hause weg, übt aber auch dann bei andern
Frauen Coit. int.
G Kinder, zur Zeit gravida. Mann übt Coit. int., so- An.
dass sie keine Befriedigung hat. Wenn er verreist ist,
geht es ihr gut, während es ihr immer schlecht geht,
während er zu Haus ist.
No.
Name und
Er-
Heredität
Stand
Alter
krau kt
u. frühere Er-
seit
krau klingen
90.
Innoc. II.,
Beamter.
• ><
2 — 3 Vor 4 Jahren
M. Magen -
S u bjek live Besch werd en
Ejaculatio praecox. ängstlich, aufge-
regt.
schmerzen.
91.
Heinr. B.,
Graveur.
20
1 J.
Vor 2 Jahren
dieselbe Er-
krankung.
1895 fühlte er sich zum l.Mal krank:
Kopfschmerzen, Mattigkeit. Magen-
beschwerden. Damals ging er zum
Arzt, fühlte sich mehrere Wochen
besser; seit 1896 hat er aber wieder
dieselben Erscheinungen und das
Gefühl täglich schwächer zu werden.
92.
Johann L.,
.Sicher-
heits-
beamter.
»>
. >
Von 89 — 92
ähnliche Er-
krankung.
Einige Jahre vor der Hochzeit 1892
hat er sich schon ähnlich krank ge-
fühlt. Angst und Schwitzen. Jetzt
ist noch Kreuzschmerz und Schmerz
zwischen den Schulterblättern hin-
zugekommen.
93.
Martin P.,
Beamter. I
mit
Inter-
vallen.
Seit 5 Jahren ist er sehr glücklich
verheiratet, hat aber jetzt Zustände,
wie er sie früher nie gekannt und
wenn er sie auch nicht für ernst
hält, ist er ängstlich es möchte doch
einmal etwas schlimmeres daraus
werden. Zuweilen, wenn er auf der
Strasse geht, kann er sich nicht ent-
schlicssen gerade hinüber zu gehen,
ebenso geht er nicht gern über einen
freien Platz, doch zwingt er sich
dazu und bringt es dann fertig.
Diese Zustände hat er gehabt Winter
1893, Herbst 1895, Sommer 1897 bis
jetzt. Kaltwasserkur, die er Sommer
1895 gebraucht, gar keinen Effekt,
da er sich sehr nach Hause gesehnt
habe.
Somatischer
Befund
Nihil.
Gesteigerte
Pateilar-
reilexe, leich-
ter Tremor
beider Hände.
Nihil.
Durchaus
kräftiger
Mann.
S e x u al b ez i eh un
gen
Diagnose
Als kleines Kind auf dem Lande mit andern Kindern
sexuelle Spiele. Masturbierte von 14Jahrcn an. Coitus
hat ihn nie befriedigt. Ejaculation zu früh oder gar
nicht. 9 Jahre verheiratet, keine Kinder, bis vor
4 Jahren von der Frau masturbiert.
Hy. An.
Mit 12 Jahren 1. Erection. \'om l.'>. Jahre auf Veran-
lassung von Spielkameraden zuerst masturbiert bis
zum 17. Jahre. Nach dein der Arzt ihn auf die Schäd-
lichkeit (1897)) aufmerksam gemacht, liess er cs einige
Wochen, jetzt hat er ständig nachts Kreolinnen und
giebt auch zu, zu masturbieren. Koch kein Coitus.
NTe.
Seit dem 28. Jahre verheiratet. 2 Kinder ganz klein
gestorben. Verkehrt regelmässig mit der Frau. Da er
aber sehr schnell zur Ejaculation kommt, giebt er
sich Mühe, sie hinauszuschieben, bis die Frau be-
friedigt ist. Mit 16 Jahren erster Coitus, zwischen
18 u. 20 Jahren Pollutionen. Auf dem Lande erzogen,
zwar nicht mit Mädchen zusammen gekommen, aber
sehr früh schon sexuell libidinös.
An.
Er hat als 16 — 1 7 Jähr. Junge masturbiert. Bald aber
nachgelassen und mit 18 Jahren coitiert. Seine Potenz
war stets regelmässig und befriedigend. 1892 hat er
geheiratet, normal verkehrt. Jedes Mal vom 5. Monat
der Schwangerschaft an, hat er seine Frau, weil er
glaubt, es schade ihr, ganz geschont, somit war er
mindestens je 6 Monate abstinent. 93 März 1. Kind,
95 Sept. 2. Kind, schwere Geburt, 97 Juli 3. Kind.
Nach dem 2. Kinde war die Frau längere Zeit krank,
daher die Abstinenzzeit verlängert. Er glaubt selbst,
dass seine Angstanfälle damit Zusammenhängen.
An.
40
Name und
Heredität
No.
Stand ! Alter kraukl
u. frühere Er-
Subjektive Beschwerden
seit
krankungen
94.
95.
90.
97.
98.
99.
Ella L.,
Buch-
halterin.
Betty l\.,
Postamt-
dieners-
frau.
Paul, k.,
Schneider.
Adolf K.,
Beamter.
Theres.P.
Photo-
graphen-
frau.
Johann E.,
Post-
beamter.
84
19
45
29
28
Nihil.
39
3 W.
4 .J.
9
• )
Mit 20 Jahren
Rheum. artic.
3 Aborte in
4 Jahren.
Nihil.
Nihil.
Nihil.
Vor 9 Jahren
Tripper.
Angst, Unruhe, Beklemmung, manch-
mal Schwindel.
Seit 3 Jahren Kopfschmerz, Scheitel -
druck, Hitze- u. Kältegefühl, Angst,
Beklemmung, Herzklopfen.
Kopfschmerzen, Magenseh merzen,
schlechter Stuhlgang.
Unruhe während der Dienstzeit, Auf-
regung zu Haus, allgemeines Angst-
gefühl.
Magenschmerz, plötzliche Böte und
aufsteigende Hitze im Gesicht, un-
regelmässiger Stuhlgang.
Seit 1 Jahre iiberkommt ihn im Dienst
oft eine Beklommenheit, die ihn an
der prompten Ausführung seiner
Arbeit hindert. In bestimmten Zeit-
räumen, die er auf ungefähr drei
Wochen taxiert, befällt ihn wenn er
allein ist, eine grosse nicht genau
umgrenzte Angst, die sich zwar
etwas legt, wenn er bei seinen An-
gehörigen ist, meist aber erst nach
kalten Kompressen auf Kopf und
1 1 erz n ach ei n i gen Stu nden sch w i nd et .
41
Somatischer
Befund
Nihil.
Sexualbezieh u n g e n Diagnose
Sic ist seit 7 Jahren verheiratet, hat keine Kinder. In An.
den ersten 2 Jahren der Ehe verkehrte sie normal mit
ihrem Mann, dann constatierte der Arzt, dass ihr
Mann Diabetes habe, seitdem hat der Mann nicht
mehr mit ihr verkehrt, trotzdem sie es entbehrt,
nötigt sie ihn doch nicht zum Verkehr, weil sie
fürchtet, es könne ihm schaden.
Nihil.
Seit dem 2. Kind vor 4 Jahren Colt, int., weil sie
gleich in die Hoffnung kommt, Befriedigungen hat sie
seit dem gar nicht mehr.
An.
Nihil.
Nihil.
Nihil.
Nihil.
Hat von 14 — 15 Jahren masturbiert, dann 3 Jahre ein
Verhältnis gehabt, nach Lösung desselben, vor drei
Monaten, masturbiert sie wieder.
Er ist seit 10 .Jahren verheiratet, 3 Kinder, jüngstes
üJahre. Seit dessen Geburt Coit. int. wegen schlechter
Vermögensverhältnisse.
Patientin hat vom 17. bis ca. 22. Jahre onaniert, dann
heiratete sie, bekam im 24. Jahre ein Kind. Hat nie
bes. Befriedigung durch den Coitus gefunden, sodass
sie hin und wieder sich nach demselben die Geni-
talien berührte. Seitdem nun ihr Mann nach der Ge-
burt des Kindes (vor 4 Jahren) Coit. int. ausübt,
fehlt ihr jegliche Befriedigung und masturbiert sie
sich daher regelmässig.
Mit 17 Jahren hat er sehr bescheiden masturbiert, ist
aberbald in normalen Verkehrgetreten. Seit2y2 Jahren
ist er verlobt; hat seine Braut sehr lieb und wie er
zugiebt, kommt es bei ihrem Zusammensein oft zu
kleinen Uebergrilfen, jedoch nie zum Verkehr. Er
wird dadurch ausserordentlich aufgeregt, besonders
da er seit seiner Verlobung mit keinem andern
Mädchen verkehrt hat.
Ne.
An.
Ne.
An.
42
Name und
Er-
Heredität ,
No.
Stand
Alter
krankt
u. frühere Er- Subjektive Beschwerden
seit
Kränkungen
100.
Kosa 15., 2M Einige Mutter nervös Sieklagt über Magenschmerzen, Kreuz-
Dienst- Jahre. gewesen. schmerzen, Mattigkeit in den Beinen,
mädchen. i hat auf Anraten schon zweimal eine
Bandwurmkur durchgemacht, jedoch
ohne Erfolg, insofern sich niemals
ein Bandwurmglicd im Stuhl ge-
zeigt hat.
Auf den vorhergehenden Seiten habe ieli der Reihe nach di»'
1\ rankongeseliichton wiedergegeben, so wie sie zur Beobacht ung kamen,
und ich gehe jetzt zur kritischen Besprechung über.
I rennt man zunächst die 100 Krankem nach ihrem Geschlecht:,
so ergeben sich:
.Männer 58
Weiber 42
Natürlich ist diese kleine Summe keineswegs dazu zu verwerten,
einen Schluss aul die prozentische Beteiligung beider Geschlechter an
dmi Neurosen zu ziehen, das wäre erst an der Hand von lausenden
von Fällen möglich.
Es muss einem jeden Betrachter zuerst in die Augen lallen, dass auch
bei keinem einzigen der Ra.tient.cn sich das findet, was man für gewöhn-
lich unter einem normalen Geschlechtsleben versteht; dabei schlicsse
ich sogar den einen von mir selbst als zweifelhaft bezeiehueten Fall
iNu. 42) nicht aus. Auch diesen habe ich genau in der Reihenfolge, wie
er zur Beobachtung kam, notiert, um gerade dadurch zu zeigen, dass
(‘s auch fälle geben kann, die sich absolut nicht unterbringen lassen.
Man kann mir zwar entgegenhalten, dass viele Menschen keinen
normalen Geschlechtsverkehr oder überhaupt irgend einen sexuellen De-
Ickt haben und trotzdem gesund sind. Zugegeben! Meinerseits möchte
ich aber behaupten, dass alle jene, die an einer wirklichen Neurose
kranken, irgend eine Bnregelmässigkeii in ihren Sexualbeziehuugen haben
mul ferner dass, wenn Patient X bis heute trotz anormalen Geschlechts-
lebens sich sehr wohl befindet, ich nicht dafür einstehen möchte,
43
Somatischer
Befund
Sexualbeziohu ngen
Diagnose
Anämisches
Mädchen. Er-
rötet leicht
Magen-, Hypo-
chon dral-
sclimerz.
Nach einigem Zögern giebt sie zu, dass sie schon seit
dem Hi. Jahre heftig masturbiert. Coitus hat sie aus
Furcht noch nie ausgeübt.
\e.
nicht schon morgen gerade diese Schädlichkeiten einige Symptome zei-
tigen werden.
Nach Lebensaltern geordnet verteilen sich die 100 Fälle auf die
Decennien :
10 — 20 Jahre
. . 5
20—30 „ . .
. . 4(1
30—40 „ . .
. . 32
40—50 „ . .
. . 13
über 50 „ . .
. . 4
Summa 100
Die meisten Erkrankungen fallen also hier in das Üeoonnium, in
weh-hem sich die Geschlechter im Durchschnitt vor der Eheschliessung
befinden. Am nächsten kommt dann das Alter, in dem 2 — 3 Nach-
kommen geboren sind.
In die letzte Rubrik habe ich der Ueborsichi halber entweder die einfache
oder die Mischdiagno.se eingelragen, darnach ergaben sich als erkrankt an:
Männer
Frauen
Neurasthenie
. . . . 18
12
Angstneurose
. . . . 22
22
Hysterie
.... 3
1
Hysterie und Angstneurose
. . . . 5
3
Hysterie und Neurasthenie
3
—
Neurasthenie und Angstneurose .
. . . . 2
3
Latus {)3
41
44
Männer
Frauen
Transport 53
41
Hysterie und Angst neurose und '
Seurasthenie 1
—
Tabes
2
—
Hysterie und Tabes
.... 1
—
Zweifelhaft
.... 1
—
Paranoia
—
1
Summa 58
42
Gehen wir zur Betrachtung der einzelnen Krankheitsfornien über,
so möchte ich zunächst auf Fall 42 zurückkommen. Der betreffende
Patient machte einen durchaus glaubwürdigen Findruck, um so mehr,
als er, um sich dieserhalb Rates zu erholen, eine sehr weite Reise ge-
macht hatte. Dass er keine Nachkommenschaft zeugen konnte, war an
sudi nichts aussergcwühnliches und läge vielleicht der \ erdacht nahe,
seine Fhefrau dafür verantwortlich zu machen. Befremdlich war mir
jedoch die Angabe, dass seine Brüder sich ganz in derselben Lage be-
finden, und dass er gleichsam als \ ertreter der Familie käme. Patient
war kein gerade herkulisch gebauter Mann; ich habt4 ihn sehr genau
untersucht, ohne mehr als gesteigerte Patellarreflexe finden zu können.
12 Jahre lang hatte er in normaler, glücklicher Flu4 sein Möglichstes,
ja vielleicht mehr als sein Möglichstes gethan, um Jemandem seinen
Namen zu hinterlassen, alles umsonst; es hat ihm nichts weiter genützt,
als dass er seil 3 Jahren an Ziehen in Armen und Beinen leidet. Denk-
bar wäre es ja, dass man bei länger andauernder Beschäftigung mit
dem Patienten und seinen Brüdern irgend einen plausiblen Grund ge-
funden hätte. So aber blieb mir der Fall nur ein biologisches Rätsel.
Wenden wir uns nun zu den reinen Neurasthenikern, so er-
geben sich hier bei allen wirklich recht einfache Verhältnisse. In jedem
Falle war die Erkrankung durch längere Zeit fortgesetzte
Masturbation eingetreten, in einigen Fällen hatten sich die Patienten
sogar masturbieren lassen; der Effekt war stets derselbe. Im wesentlichen
ergab sich das bekannte Bild der Abgeschlagenheil, Energielosigkeit, des
Kopf- und Magenschmerzes, der Schmerzen zwischen den Schulterblättern
und Obstipation. Dementsprechend die körperliche Untersuchung: ge-
steigerte Sehnenreflexe, Blässe der Schleimhäute, manchmal leichter Tremor
der Hände. Gleich im Beginn der Untersuchungen fand ich bei
45
den Neurasthenikern, die über Magenschmerzen klagten, eine
schmerzhalte I) nie kein pfi n d I ichkeit im II vpochondritim. Ich
richtete aul dieses Symptom auch bei den anderen Patienten mein Augen-
merk und fand bei 70 pCt. der Neurastheniker, sei es, dass sie selbst über
Magenschmerzen klagten oder nicht, ganz dieselbe Erscheinung; da ich
es in den Fällen von Angstneurose nicht fand, möchte ich
nicht anstehen , dies geradezu alsein pathognostisclies Zeichen
I ür Neurasthenie und deren Ursache anzusehen.
Ich deutete weiter oben darauf hin, dass die Reproduktion von
einer grösseren Anzahl von Krankengeschichten Neurastheniseher eine
gewisse Monotonie mit sich bringe. Bei genauerem Zusehen aber zeigt
sich, dass sich oft so tiefe Blicke auf soziale Verhältnisse eröffnen,
und dass man oft beobachten kann, wie manches Lebensglück an solchen
Krankheiten hängt, die oft nicht ernst genug aufgefasst werden. .So im
Falle 32. Patient war ein sympathischer, nicht unintelligenter junger
Mensch. \ oller Lehenshoffnung und Mut war er vor wenigen Jahren
nach Amerika ausgewandert. Drüben fand er bald eine gute Stellung
und dachte vor der Hand nicht ans Sparen, da er sein Geld und seine
freie Zrit brauchte, um sich alles Neue und Ungewohnte gründlich an-
zusehen. So kam er eines Abends mit Freunden in eine Bar, hatte
vielleicht auch schon dem Bacchus zu viel geopfert, und um der Venus
vulgivaga auch ihren Tribut zu entrichten, liess er sich von einer ihrer
Priesterinnen umgarnen. Das Opfer war schwer bezahlt; er konnte
seinem Berufe nicht mehr nachgehen, so stark hatte ihn eine Gonorrhoe
gepackt, und zur Wiederherstellung seiner Gesundheit musste er sich in
ein Krankenhaus aufnehmen lassen. Dort ging sein letztes Geld drauf;
eine Stellung fand er nicht so bald wieder, und als er sic fand, warf
sie nicht mehr ab, als er zum Leben gerade brauchte. Aus Furcht vor
erneuter Ansteckung zähmte er einstweilen seine Libido, dann als ihm
dies nicht mehr gelang, hatte er zwar den Mut, nicht aber das Geld zu
Abenteuern und da drüben nichts, am allerwenigsten aber die Liebe um-
sonst ist, verfiel er auf die Masturbation. Wie er diese immer heftiger
und heftiger trieb, darf ich hier wohl übergehen. Kurz, er wurde matt,
arbeitsunlustig, verlor seine Stelle und sein Selbstvertrauen. So führte
er drüben noch eine Zeit lang ein elendes Leben, und kehrte dann ge-
brochen zurück, ohne die Masturbation zu lassen. Hier nun traute er
sich als Schiffbrüchiger keinen früheren Freund aufzusuchen, von allein
4(5
bot sich ihm natürlich keine Stellung und .so geht er, das Opfer einer
einzigen Nacht, müde und energielos umher. Diesem Manne ist heute
nicht sofort mit einer Stellung zu helfen, diese würde er kaum ausfüllen
können; ihm hilft nur eine erfolgreiche Annäherung an das andere Gc-
sch locht, in diesem Jungbrunnen muss er sein Selbstvertrauen wieder-
linden, dann erst kann er in eine regelrechte l’häfigkcit zurückkehren.
Wird dies der einzige so geartete Fall sein? Ich wenigstens glaube
es nicht!
Eine besondere Berücksichtigung verdienen noch zwei Fälle. Zu-
nächst der Fall 87, der zu gleicher Zeit der jüngste in Beobachtung ge-
tretene Patient war. Er gab an, vor (1 Jahren von einem Wagen ge-
stürzt zu sein und davon eine Gehirnerschütterung davongetragen zu
haben. Damals war er also 9 Jahre alt, er klagte über neurasthenischc
Beschwerden, die sich in den letzten 4— (1 Wochen gesteigert hatten und
erzählte, dass er von der Zeit des Unfalles an bis zum heutigen Tage
sehr stark masturbiere. Bei der genauesten Untersuchung war auch ab-
solut kein Anhaltspunkt für irgend eine organische Erkrankung zu ent-
decken und ich sah mich gezwungen, diesen Fall als eine Neurasthenie
aufzufassen. Merkwürdig erschien cs mir nur, dass der Knabe gerade
seit dein Unfall das Masturbieren begonnen hatte und in welchem Zu-
sammenhänge diese beiden Umstände zu einander stehen, ich habe da-
mals die Frage nicht gelöst und glaube auch jetzt noch daran festhalten
zu müssen, dass ein hysterischer Keim in dem Jungen steckte, welcher
dann zur Zeit der Erkrankung und des langen Bettliegens ihn zur
Masturbation veranlasste.
Interessant ist auch der Fall 53. Der hier beschriebene 18jährige
Kellner, der lange Zeit masturbierte, fühlte sich im Gebirge und kurze
Zeit nach der Rückkehr sehr wohl, alle seine Beschwerden sind mit
einem Male geschwunden und man dürfte fast mit Recht annehmen,
dass die gute Luft, die veränderte Lebensweise und die veränderte Um-
gebung diesen heilsamen Einfluss auf sein nervöses Leiden ausgeübt
hätten. Schöner kann aber kaum das alte Wort cessante causa tollitur
effectus illustriert werden. Der Kellner hatte einfach oben im Gebirge,
weil er sich in Gegenwart zweier Schlafgenossen genierte, seine Mastur-
bation für einige Wochen an den Nagel gehängt und, da er sich da-
durch natürlich sehr wohl fühlte, zu Hause auch noch 14 Tage davon
gelassen. In wie vielen hundert und aber hundert Fällen treten nicht
47
ganz ähnliche Wunderheilungen durch Bäder etc. ein, wo cs sich ledig-
lich um eine Regulierung der Sexualbezichungen handelt.
Ich gehe jetzt weiter und komme zu den Kranken, deren Haupt-
symptom die Angst war, und die ich nach dem Vorschläge Freud ’s
als Angstneurotiker bezeichnet habe. Diese spalten sich bei ge-
nauerer Durchsicht in 4 Gruppen: in solche, die vollkommen absti-
nent lebten, solche, die den Coitus interruptus übten, dann die-
jenigen, die eine häufige frustranc Erregung hatten und schliesslich
solche, bei denen die Angst infolge von Impotenz auftrat.
In die erste Abteilung der Abstinenten gehören von männlichen
Patienten :
No. 4, 10, 25, 65, 78, 93,
von weiblichen Patienten:
No. 28, 50, 52, 73, 74, 94.
Bei keinem der Patienten aus dieser Reihe hat die Krankheit vor
der Zeit bestanden, ehe der angegebene schädliche sexuelle Einfluss vor-
handen war. Der Zeitraum, in welchem die Patienten abstinent gelebt
haben und sich wohl befanden, bis ihre ersten Krankheitserscheinungen
auftraten, ist ein recht verschiedener. Im Falle 65 6 Wochen, im
Falle 78 bis zu 2 Jahren. Gründe der Abstinenz waren in 2 dieser
Fälle Verlobung, ohne dass jedoch irgend welche anderen, namhaften
sexuellen Erregungen während der Verlobung stattgefunden hätten.
Fall 78 ist insofern interessant, als der Kranke abstinent blieb aus
Furcht, sein Rheumatismus würde wiederkehren! Es ist überhaupt sehr
lehrreich, zu beobachten, welch’ obstruse Ideen sich manche Leute in
Bezug auf Schädlichkeiten und Nützlichkeiten des Sexuallebens machen.
So dürfte auch Fall 93 sich sehr oft und gerade unter den ge-
bildeten Ständen wiederholen. Es war dies ein recht intelligenter Be-
amter. welcher die Ansicht hatte, dass vom 5. Monat der Gravidität an
seiner Frau und dem zu erwartenden Kinde der Verkehr schaden könne.
Es war infolgedessen ganz genau zu erkennen, Mrie vor und nach der
Geburt eines jeden Kindes bei dem Vater infolge der periodischen Ab-
stinenz periodische Angstanfälle auftraten. Im März 1893 bekam seine
Frau das 1. Kind, im Winter desselben Jahres hatten seine Angstanfälle
bereits begonnen; im September 1895 das 2. Kind, im Herbst hatte er
wieder seine Angstanfälle, und schliesslich im Juli 1897 3. Kind mit
Angstanfällen beim Vater den ganzen Sommer hindurch. Es ist hieraus
48
ersichtlich, dass, da der betreffende Patient seine Frau 4 Monate vor
Geburt des Kindes schonte, er ungefähr 1 Monat vor der Geburt des
Kindes erkrankte und erkrankt blieb, bis er nach der Genesung seiner
Frau wieder mit ihr zusammen sein konnte. Er motivierte sein merk-
würdiges Verhalten durch sehr grosse Liebe zu seiner Frau, der er auf
keinen Fall schaden wollte, trotzdem er selbst glaubte, dass diese lange
Abstinenz die Ursache seiner Angstanfälle wäre.
Ein ähnlicher Fall begegnet uns in No. 94. Hier war die Liebe
und Sorgfalt auf Seilen der Frau, die mir erzählte, dass ihr Mann öfters
heftig und launisch werden könne und sie jede mögliche Erregung von
ihm fern halten möchte, da er selbst, der wie angeführt an Diabetes
leidet, aus Furcht, der Sexualverkehr könne ihm schaden, nicht mit
seiner Frau verkehrt und sie ihn deswegen auch nicht dazu dränge.
Es ist dies sicher eine falsche Ansicht, dass eine organische Erkrankung
durch normalen Verkehr beeinträchtigt würde, aber selten dürfte diese
Anschauung nicht sein.
Auch im Fall 10 hat der Mann wegen Krankheit seiner Frau
ein Jahr lang abstinent gelebt und hat seit 8 Monaten Angsterschei-
nungen.
Der Fall 04 hat uns zu den abstinenten Frauen übergeführt und in
dieser Reihe finden wir 2 Fälle vor, wo die Abstinenz nach Entbin-
dungen begonnen hat aus Furcht vor wiederholter Conception ; cs waren
beide Male aussereheliche Geburten.
Hei 3 Fällen (50, 52, 73) konnten die betreffenden Frauen von
ihren Männern, die nicht mehr leistungsfähig waren, keine Befriedigung
erlangen, der Verkehr war trotzdem ein normaler.
Frustrane Erregungen bei Männern findet sich Fall 99 bei einem
Bräutigam, der sich jedes Mal bei dem Zusammensein mit seiner Braut,
wie er selbst zugiebt, seit 21/2 Jahren sehr aufgeregt hat, ohne in der
ganzen Zeit eine natürliche Ableitung für seine Libido zu finden.
2 fälle, No. 11 und 70, beziehen sich auf Mädchen, die durch
ihren „Bräutigam“ sexuell erregt worden sind. In Fall 11 besteht die
Erkrankung schon seit 6 Jahren; die Erregung schon seit einigen Jahren
mehr. Fall 70 hatte erst 5 Jahre ohne Befriedigung Coitus interruptus
geübt, leider passierte ihr einmal das 1 nglück gravid zu werden, seit-
dem hat sie (seit 3/4 Jahren) sich nur von ihrem Bräutigam aufregen
lassen, aber keinen andern Verkehr gestattet. bis sind bei ihr die
49
Symptome der Angst nach dem Coitus interruptus in die analogen Sym-
ptome nach der frustranen Erregung unvermittelt übergegangen.
Das reichste Feld für die Angstneurose kommt nun mit der Aetio-
logie des gehemmten Verkehrs.
Männer: No. 14, 18, 20, 24, 46, 57, 72, 82, 86, 88, 97.
Diese Fälle können geteilt werden in solche, bei denen mitten in
der Erregung der Sexualakt unterbrochen worden ist und in solche, in
denen der Sexualakt aus Rücksicht auf die Frau möglichst hinausge-
schoben worden ist. Die Erkrankung hat auch hier jedes Mal erst
einige Zeit nach Einsetzen der Schädlichkeit begonnen. Es ist vielleicht
gut, sofort hier die Frauen derselben Reihe zum Vergleich heranzu-
ziehen :
No. 21, 31, 33, 40, 41, 48, 49, 55, 59, 62, 67, 89, 95.
Bei den Frauen war es stets mangelnde Befriedigung beim Verkehr,
die einige Zeit nach Beginn des Coitus interruptus eingesetzt hat. Bei
beiden Geschlechtern sind auch die Zeiten, in denen sic noch nach dem
Beginn des schädlichen Verkehrs gesund geblieben sind, ganz verschie-
den. Jedoch erweckt es in mir den Anschein, als ob die Frau längere
Zeit diese Art des Verkehrs ertrüge als der Mann. Ob dies auf der
allgemeinen geringeren Sensibilität der Frau beruht, lasse ich dahin-
gestellt.
Unter meinen Patienten befanden sich 2 Ehepaare, No. 20, 21 und
88, 89. Das erste Paar (ein Postassistent mit seiner Frau) waren zwei
blutjunge Leute, die vor 3 1/2 Jahren sich aus Liebe geheiratet hatten,
ohne zu wissen, wovon sie eigentlich leben wollten. Sein Gehalt war,
wie denkbar, kein sehr grosses und deswegen haben sie vom 1. Tage
ihrer Ehe an eine Conception zu vermeiden gesucht. Bei ihm zeigte
sich die Folge bereits nach 1 Jahre, bei ihr nach \lj2 Jahren. Bei dem
Examen, bei welchem sie fast ganz von allein ihren anormalen Verkehr
erzählten, beschuldigte natürlich einer den andern der Anstifter dieses
Uebels zu sein und trotzdem sie glücklich waren, dass keine ernstere
als diese Erkrankung zu Grunde lag, schienen sic doch ratlos zu sein,
wie sie sich in Zukunft gegen einen unwillkommenen Kindersegen
schützen sollten.
Das andere Ehepaar, No. 88, 89, verdient insofern Interesse, als
trotz langjährig ausgeübten Coitus interruptus immer unbeabsichtigte Ge-
burten eingetreten waren. Der Mann war Agent und viel von Hause
Uattel, Sexuelle Ursachen der Neurasthenie. 4
50
wog. und während die Krau zu Hause sich während der Abwesenheit
des Mannes, wo sie in Ruhe gelassen wurde, sehr wohl fühlte, verkehrte
er merkwürdiger Meise auf dieselbe Art ausserhalb mit anderen krauen,
selbst wenn er nach der Profession der Betreffenden sich um eine ( on-
ception gar nicht zu kümmern brauchte.
Zwei Fälle, 47 und 71, waren Klagen über Impotenz und Angst-
zuständc bei Männern, welche bedeutend ältere Frauen hatten und an
denen sie zu keiner Befriedigung kamen. Wenn sic mal Exccssc be-
gingen, waren sie mit ihrer Potenz ganz zufrieden.
Ein anderer Fall 92 betraf einen Sicherheitswachmann, der auch
den Coitus protrahierte, um seine Frau zufrieden zu stellen. Ob bei
ihm nicht infolge früherer sexueller Jugcnderinncrungen ein Kcimchen
Hysterie verborgen ist, konnte ich im Ambulatorium nicht feststellen.
Unter meiner Zahl von Kranken sind recht wenig Hysterische
anzutreffen, jedermann weiss, dass gerade bei ambulatorischem Material
Hysterie eine grosse Rolle spielt. Ich erwähnte aber eingangs, dass ich
Fälle von grosser Hysterie bei meiner Untersuchung ausgeschlossen habe,
1. um mir mein Material an Neurasthenikern und Angstneurotikern nicht
zu verkleinern, und 2. gehört auch, um die sexuellen Wurzeln der Hysterie
aufzudecken, sehr viel Zeit dazu und kaum lässt sich dies in einem
Ambulatorium durchführen. Demnach sind die Fälle, die auf den ersten
Blick als Hysterie erschienen, gar nicht aufgenommen. Wenn sich aber
trotzdem in meiner Reihe 3 männliche Hysterien und eine weibliche vor-
finden, so erklärt sich dies daraus, dass Kranke, die man zuerst für
Neurastheniker hält, sich schliesslich doch als Hysterische entpuppen;
dann natürlich habe ich sie nicht aus meiner Liste gestrichen, sondern,
weil irgend einem anderen Nachuntersucher dasselbe passieren kann wie
mir, habe ich sie mit unter die anderen Kranken genommen. Der
Hauptunterschied zwischen Neurasthenie und Angstneurose einerseits
und Hysterie andererseits besteht nach Freud darin, dass der letzteren
Ursachen in der frühesten Kindheit zu suchen sind, die der beiden
ersteren dagegen nach der Pubertät. Da ich nach diesen Gesichts-
punkten, zu denen auch ich durch Untersuchungen auf diesem Gebiete
gekommen, die vorerwähnten Kranken unterschieden habe, halte ich es
für meine Pflicht, dem Leser die allerwichtigsten Sätze aus den letzten
Freud’schen Publikationen über die Aetiologie der hysterischen Svm-
ptome hier kurz wiederzugeben.
51
Als Vorläufer der Sexualtheorie über die Hysterie sind die von
Breuer und Freud1) gemeinsam veröffentlichten Studien über Hysterie
/n betrachten. Daselbst finden wir (S. 3), dass zwischen der gewöhn-
lichen Hysterie und der traumatischen Neurose insofern eine Analogie
besteht, dass bei beiden ein psychisches Trauma die Krankheitsursache
bildet, und (S. 4) dass die hysterischen Symptome dann gänzlich ver-
schwinden, wenn es gelingt die Erinnerung an den veranlassenden Vor-
gang wachzurufen und wenn die Erinnerungen an diese Traumen von
dem Kranken abreagiert worden sind (S. 7). Auf die Methode, welche
die Verfasser zur „schichtweisen Abtragung“ der hysterischen Symptome
anwandten, gehe ich hier nicht ein, sie möge im Original nachgelesen
werden. Wichtiger ist der Umstand, dass Freud im weiteren Verlaufe
der Zeit durch die Psychoanalysen Hysterischer zu der Erkenntnis kam,
dass die psychischen Traumen stets ganz bestimmter Art sind.
„Wenn2) die aufgefundene Erinnerung unseren Erwartungen nicht
entspricht, vielleicht ist derselbe AVeg ein Stück weiter zu verfolgen,
vielleicht verbirgt sich hinter der ersten traumatischen Scene die Er-
innerung an eine zweite, die unseren Ansprüchen besser genügt, und
deren Reproduktion mehr therapeutische Wirkung entfaltet, so dass die
erstgefundene Scene nur die Bedeutung eines Bindegliedes in der Asso-
ciationsverkettung hat?“ und so zeigte es sich, „dass kein hysterisches
Symptom aus einem realen Erlebnis allein hervorgehen kann, sondern
dass alle Male die associativ geweckte Erinnerung an frühere Erlebnisse
zur Verursachung des Symptom es mitwirkt“, und so kam er endlich bei
allen Hysterien zu einem gemeinsamen Ausgangspunkt, welcher stets
ein sexuelles Erlebnis in frühester Kindheit war. Er hatte da-
mit gleichzeitig einen Schritt weiter in der Erkenntnis der Entstehung
hysterischer Symptome gethan. Hören wir ihn selbst: „Ich3) darf Sie
aber auch daran mahnen, dass ich selbst vor wenigen Jahren auf ein
bisher wenig gewürdigtes Moment hingewiesen habe, für welches ich die
Hauptrolle in der Hervorrufung der Hysterie nach der Pubertät in An-
spruch nehme. Ich habe damals ausgeführt, dass sich der Ausbruch
der Hysterie fast regelmässig auf einen psychischen Konflikt zu-
1) Breuer und Freud, Studien über Hysterie. Wien 1895.
2) Freud, Zur Aetiologie der Hysterie. Wiener Klinische Rundschau. 1896.
No. 22—26.
3) 1. c.
4*
rii<-k t «ihren lässt, indem eine unverträgliche Vorstellung die Abwehr
des Ich rege mache und zur Verdrängung aullordere. ( nter welchen
Verhältnissen dieses Abwehrbcstreben den pathologischen Effekt hat, die
dem Ich peinliche Erinnerung wirklich ins Unbewusste zu drängen und
an ihrer Statt ein hysterisches Symptom zu schaffen, das konnte ich
damals nicht angeben. Ich ergänze es heute: Ibe Abwehr erreicht dann
ihre Absicht, die unverträgliche Vorstellung aus dem Bewusstsein zu
drängen, wenn bei der betreffenden bis dahin gesunden Person infantile
Sexualscencn als unbewusste Erinnerungen vorhanden sind, und wenn
die zu verdrängende Vorstellung in logischem oder associativem Zu-
sammenhang mit einem solchen infantilen Erlebnis gebracht werden
kann.“
Ich habe hier nur das allernotwendigste der Freud’schen Hystcrie-
lehre wiedergegeben, — um ein Bild zu gebrauchen, nur den Rumpf;
wie sich die Glieder daran ansetzen, durch welche Gelenke sie verbun-
den sind, lasse ich wohlwissend als über den Rahmen dieser Arbeit
hinausgehend, weg — zumal es nur den Autor wiederholen hiesse, wollte
ich seine geistvollen Ausführungen hier niederschreiben. Das wenige
was ich gab, rührt nur aus dem Bestreben her, meinen Standpunkt zu
kennzeichnen, von welchem aus ich aus meinen Kranken die Hysteri-
schen abgespalten habe, und um einen Begriff davon zu geben, dass
man früheste Jugenderinnerungen nicht mit einer Handbewegung auf-
dcckt, sondern dass man sich redlich mühen und den Patienten in seiner
Denkarbeit unterstützen muss, soll es gelingen durch eine Analyse bis
weit in die Kindheit hinunterzublicken und die schädlichen, dort schlum-
mernden Keime zu entdecken. Als Beispiel dieses schwierigen Ver-
fahrens will ich hier eine Hysterie-Analyse mit .-teilen, möge der Leser
daraus ersehen, dass ein poliklinisches Material kaum zu solchen V er-
suchen zu gebrauchen ist.
Fräulein Ella E., 28 Jahre alt, aus Schlesien, war mir von
einem Kollegen mit der Diagnose Neurasthenie zugeschickt worden. Sic
klagte über zeitweilige sehr heftige Kopfschmerzen, die vom Scheitel
beginnend nach dom Hinterkopfe zu ausstrahlten, ausserdem über einen
Druck über den Augen, den sie als von der schlecht sitzenden Brille
herrührend betrachtete (sie war myop und trug seit mehreren Jahren
eine Brille). Am allerunangenehmsten war ihr ein Schmerz im Nacken,
„der gerade so ist, als ob Jemand meinen Hals von hinten her
um-
53
klammert“. Dazu gesellt sich oft noch ein Schmerz in der linken
Ihicke, der gerade wie der Druck einer Hand sei. Manchmal hatte sie
auch noch einen Schmerz im linken Unterarm, den sie aber nicht näher
zu bezeichnen vermochte. Ihre Periode dauert sehr lange, mit grossem
Blutverlust.
Ich fragte sie nach ihren Familien Verhältnissen und erfuhr, dass ihr
Vater starb als sie 12 Jahre alt war. Sie habe noch einen 10 Jahre
älteren und einen 4 Jahre jüngeren Bruder, letzterer ist verheiratet.
In der weiteren Unterhaltung am ersten Tage erfahre ich von ihr
noch, dass sie glaube, die Kopfschmerzen beständen seit 2 Jahren, doch
könne sie sich nicht auf den Anfang besinnen. Ihre Jugend, wie über-
haupt ihre Vergangenheit seien nicht so interessant gewesen, um daran
zu denken. Sie habe überhaupt absolut keine Erinnerungen aus der
Jugend. Sie habe nie. aber auch gar nie, für irgend Jemanden eine
erotische Empfindung oder überhaupt etwas mehr als Interesse gehabt;
was Liebe heisse, wisse sie nur von anderen Leuten, nicht aber aus
eigener Erfahrung. Sie sei oft durch heftige Träume geplagt; darauf er-
klärt sie mir, alles gesagt zu haben, was sie über sich wisse und mit
dem besten Willen würde ich nichts mehr aus ihr herausbringen. Plötz-
lich fällt ihr ein, dass sic des Nachts oft mit Angstgefühl erwache und
die Empfindung habe, als hätte sie Jemand an den Beinen gezogen.
Ich entlasse sie für diesen Tag und trage ihr auf, mir am nächsten
Tage alles getreulich mitzuteilen, was ihr bis dahin eingefallen sei.
Zweiter Tag.
Zunächst teilt mir Fräulein E. mit, dass cs ihr herzlich schlecht
ginge, dann dass sie heute Nacht wieder einen recht unangenehmen
Traum gehabt habe, den sie folgendermaassen erzählt: „Erst sah ich wie
ich einen kleinen Knaben, den Sohn eines Rechtsanwaltes in X. unter-
richtete, dann sah ich ein kleines Mädchen in einem Sarge. Es war dies
ein Kind, mit dem ich selbst als Kind nur sehr selten gespielt habe, ich
habe seit meiner Jugend nie mehr daran gedacht. Im Traume sah ich
es vollkommen ähnlich mit einem roten Muttermal auf der linken Backe)
das es auch in Wirklichkeit gehabt hat.
Dieser Traum hat mich auch darauf gebracht, dass ich gestern
Ihnen etwas mitzuteilen vergessen habe, cs ist mir aber wirklich nicht
eingefallen. Nämlich, als Kind bin ich schon sehr ängstlich gewesen
um] habe deshalb Naclils bei meiner Mutter im Bett geschlafen. Nur
wenn es nicht anging, d. h. wenn Mutter „unwohl“ war und zweimal
als sie im Wochenbett lag, dann schlief ich mit meinem Bruder in
einem Bett.“
„„Mit dem Bruder, der 10 Jahre älter war?““
„Nein, der war nur 3 Jahre älter.“
„„Von dem haben Sh* mir gestern aber nichts erzählt!““
„Nein, der ist ja auch gestorben, gerade wie die jüngere Schwester.
Den Bruder hatte ich am liebsten von allen Geschwistern. Ich hatte
das gestern ganz vergessen, und Sie fragten ja nur wie viele Geschwister
„ich habe“, nicht wie viele „ich gehabt habe“. Ich war stets sehr froh,
wenn ich zu Mutter nicht in’s Bett konnte, und mit dem Bruder zu-
sammen schlief.“
Im weiteren Verlaufe dieser Sitzung bestätigte sich mein Verdacht,
dass etwas in der Jugend mit ihr vorgenommen worden sei, wobei man
sie, um sie zu missbrauchen, auf die Seite gelegt habe und mit der
Hand die linke Seite des Kopfes niedergedrückt habe. Schon als junges
Mädchen habe sie geglaubt, dass die Spielereien mit dem Bruder un-
recht seien, sie habe sich schuldig gefühlt, später oft gefürchtet ver-
rückt werden zu müssen und sich deshalb den Tod gewünscht.
Dritter Tag.
Sie fühlt sich heute \iel wohlcr, Schmerzen hat sie seit gestern
nicht mehr gehabt und ihre Stimmung ist seit Beginn der Behandlung
heute am besten. Erst erzählt sic, was sie seit gestern getrieben, wo
sie den Abend verbracht hat und sagt: „aber eingefallen ist mir auch
gar nichts aus früherer Zeit, ich habe Ihnen ja nun auch alles mitge-
tcilf.“ Ihre llilarität macht mich misstrauisch, und ich sage ihr auf
den Kopf zu, dass sie mir etwas vorenthalte, sie brauche sich nicht zu
genieren, sondern solle nur ruhig erzählen. So kommt denn nach einigen
Entschuldigungen und Zögern, dass das sicher ganz nebensächlich sei,
folgendes heraus: „Nun ja, gestern Abend fiel mir ein, dass ich vor
einigen Jahren, als ich mich zu Besuch in München aufhielt, unmöglich
anders cinschlafen konnte, als in der Stellung der Tizian’schen Venus
in der Dresdener Galerie. Und dann muss ich Ihnen noch sagen, dass
ich vor 3 Jahren für einen Offizier sehr geschwärmt habe; er hielt sich
bei meinen Verwandten zu Besuch auf, wir waren oft allein beieinander
oo
aber es ist sicherlich nichts passiert; er ging dann fort, drückte mir die
Hand und ich habe nichts mehr von ihm gehört.
Am vierten Tage
ist absolut nichts aus ihr hcrauszubringen, sie antwortet nur „ja“ und
„nein“, erzählt, dass gestern Abend die Schmerzen im Nacken wicdcr-
gckomnicn seien, bleibt aber hartnäckig dabei, trotz meines Vorhaltens,
dass ihr seit gestern gar nichts mehr eingefallen sei. Ich dringe auch
nicht weiter in sie, lasse sic gehen, und versichere ihr, dass ihre
Schmerzen erst dann Weggehen werden, wenn sic mir das erzähle, was
sie mir heute verschweige.
Fünfter Tag.
Ich habe mich in meiner Annahme nicht getäuscht. Zunächst be-
richtet sie einen Traum, der sehr hässlich gewesen sei. Erst habe sie
zwei kleine Mädchen geohrfeigt, dann hätten diese sich in ihren jüngeren
mul älteren Bruder umgcwandelt, letzterer sei aber dann nicht mehr ihr
Bruder, sondern irgend Jemand anderes gewesen. Darauf schweigt sic;
ich lege ihr, um abzuwarten was nun kommt, gar keine Frage vor.
Plötzlich platzt sie heraus: „Ich habe Ihnen noch etwas zu sagen, das
mich seit vorgestern bedrückt, und da sic mir gestern sagten, dass
meine Schmerzen erst aufhören würden, wenn ich Ihnen alles rückhalts-
los erzähle, muss es schliossich doch heraus, ich kann ja auch nichts
dafür, denn was ich als kleines Kind gethan, dafür kann man mich
doch heule nicht mehr verantwortlich machen. Noch viel früher als
damals, wo ich so gern zu meinem Bruder in’s Bett kroch, ich habe
Sic nämlich mit der Zeitangabe getäuscht, denn da war ich schon
12 Jahre, also noch früher, ehe ich überhaupt zur Schule ging, also 4
oder 5 Jahre alt war, bin ich oft einem Herren, auf den ich mich aber
jetzt nicht mehr besinne, bis an’s Ende des Dorfes, wo wir wohnten,
nachgclaufen, und habe ihn veranlasst, unsittliche Dinge mit mir vorzu-
nehmen. Ich habe das aber ganz aus eigenem Antrieb gethan, weil ich
sehr angenehme Gefühle dadurch hatte. Natürlich habe ich mich später
geschämt, und die Sache auch vergessen, aber vorgestern Abend, als
ich mich nach dem Spazierengehen ermüdet auf eine Bank setzte, fiel
mir das alles wieder ein. Jetzt ist aber alles heraus, das hat mich
noch gequält und ich habe Ihnen nun gar nichts mehr zu sagen.“ Beim
Fortgehen verlange ich von ihr bis /uni nächsten Male zu erfahren, wann
der Kopfschmerz zum ersten Male aufgetreten sei.
Sechster Tag.
Heute ist wieder gar nichts mit ihr anzufangen. I rotzdem ich es
lur überflüssig halte, ihr zu sagen, dass ich glaube sie verheimliche mir
wieder etwas, ist sic beim Weggehen sehr betreten und bettelt so lange
bis ich ihr erlaube, falls die Kopfschmerzen wiederkehren sollten, ein
Phenacetinpulver zu nehmen.
Siebenter Tag.
Heute musste die Sitzung aus fallen. Fräulein F. teilt mir mit, dass
sie nicht kommen könne.
Achter Tag.
Frl. E. ist wieder sehr gut gestimmt und fängt gleich dort an, wo
wir vor drei Tagen stehen geblieben sind. „Ich habe Ihnen noch nicht
erzählt, dass ich vor 2 Jahren mich mit einem jungen Mann verloben
sollte, der mir aber ganz gleichgültig war. Kurz darauf bekam ich die
Kopfschmerzen, aber durch eine andere Veranlassung, wie ich glaube.
Auf das letztere bin ich durch einen sehr angenehmen Traum gekommen.
Ich erzählte Ihnen bereits von dem Offizier, für den ich mich inter-
essierte, nun, eines Abends, als ich mit einer Handarbeit beschäftigt
war, im Nebenzimmer wurde von einigen Herren Karten gespielt, kam
der Offizier herein und sagte, da ich vorhin trotz der Aufforderung nicht
gesungen oder gespielt hätte, sollte ich ihm jetzt wenigstens ein anderes
Privatvergnügen machen — er machte mir einen unsittlichen Antrag.
Trotzdem ich ihn sehr gern hatte, und dies mich sehr aufregte, habe ich
ihn natürlich abgewiesen. Erfolgt ist dann weiter nichts. An dem Abend
hatte ich bei dem Lampenlicht meine Augen sehr angestrengt, so dass
ich Augenschmerzen hatte. Von da datieren die Kopfschmerzen.“
Neunter Tag.
sich
der
Sie hat trotz der Erlaubnis kein Phenacetin genommen. Befindet
ausgezeichnet. Das Fräulein kam nach mehreren Tagen zu mir,
gute Zustand hielt an. Leider musste sie dann abreisen. Ich sage
ir, weil ich den allerersten Keim der Hysterie nicht herauszube-
kommen Zeit hatte. Dass sie mit 4 Jahren sich einem Herren gleich
wie eine alte routinierte Demimondaine aufdrängte, konnte ja doch nur
der Wunsch nach Wiederholung eines früher mit ihr vorgenommenen
Aktes sein. Von allein wird ein Kind niemals so etwas thun. Nach
einiger Zeit hörte ich wieder von Fräulein E., es ginge ihr trotz der
rudimentären Analyse recht gut.
Nach diesen Ausführungen will ich nochmals hervorheben, was mich
veranlasst hat, die Fälle IG, 22, 61, 80 als Hysterieon zu bezeichnen.
Die Dame (Fall 16) würde jedem Unbeteiligten nach wenigen
Worten als Hysterica erscheinen, doch war für mich maassgebend, dass
sie selbst angab, schon in frühester Jugendzeit von Schul freund innen auf
das Sexualleben aufmerksam gemacht worden zu sein, wohin dies zu
verstehen ist, wollte ich die Patientin in der kurzen Zeit nicht fragen,
doch glaube ich, dass es nicht allein bei Aufklärungen geblieben ist.
Dann trat vom 17. bis zum 23. Jahr die merkwürdige Zeit der „Ver-
drängung“ bei ihr auf, indem sie mit typischen Worten äusserte, dass
sie damals eine „heilige Liebe“ gehabt habe zu einem Manne, der sich
herablassen wollte sie zu heiraten. Natürlich folgte hierauf nach einigen
Jahren die Ernüchterung, und ein markantes hysterisches Symptom bildet
in dieser Krankengeschichte, die noch heutigen Tages anhaltende auch
äusserlich dokumentierte Trauer um den seit 16 Jahren verstorbenen
Vater. Sie hat sehr spät geheiratet und sogar Kinder geboren. Merk-
würdig ist auch hier, dass die mangelnde Befriedigung, die sie in ihrem
Eheleben auch jetzt noch durchmacht, keine angstneurotischen Symptome
bei ihr machen, da die aus der Jugend stammenden hysterischen Keime
überwiegen.
Wie intensiv das sexuelle Trauma in der Jugend bei dem Falle 22
sein muss, geht daraus hervor, dass der Patient heute noch ganz genau,
ohne irgendwie von mir darauf hingewiesen worden zu sein (wie ich es
mir überhaupt zur Hauptaufgabe gemacht habe, stets die Patienten nur
erzählen zu lassen, um ja nichts in sic hineinzuexaminieren), weiss, dass
er als 4 jähriges Kind einem etwas älteren Mädchen an die Genitalien
gegriffen hat. Nun wird man mir doch ohne weiteres zugestehen, dass
ein Tjähriges Kind diesen Akt von allein nicht zum ersten Mal aus-
führt. Und sollte durch irgend einen Zufall ein Kind derartiges thun,
58
gerade so wie es meinetwegen nach einem glänzenden Gegenstand fasst,
dann wird dies doch sicherlich keine sexuelle Erinnerung in ihm zurück-
lassen. Nein, hier müssen vor dem 4. Jahre noch \ orkommnissc liegen,
welche die Handlungen im 4. Jahre nur als eine Wiederholung früherer
erscheinen lassen. Auch hei diesem Falle ist mit der Pubertät die Ab-
wehr eingetreten, er hat seitdem eine Aversion gegen alles Sexuelle. Sein
Hauptleiden besteht darin, dass bei jeder Berührung seiner Genitalien
Pollutionen eintreten.
Im Fall 64 sind 5 Glieder der Familie nervenleidend und die Er-
innerung, dass Patient in der frühesten Jugend schon onaniert habe, ist
ihm sehr deutlich; seine Brüder hätten genau dasselbe gethan. AVer ihn
freilich dazu veranlasste, weiss er nicht, cs ist aber sicher, dass eine
vierte Person dieses kleine Trio dazu veranlasst haben muss oder zum min-
desten von einem älteren Individuum ausgehend, die psychische Infektion
sich nach und nach auf die einzelnen Glieder übertragen hat. Trotz
seiner 27 Jahre ist er seit 2 Jahren impotent. Die Gründe für die Im-
potenz sind also hier rein hysterischer Natur, denn da er sonst ein ge-
regeltes Ehelebon geführt hat, läge kein Grund vor, zumal eine organische
Krankheit nicht auffindbar war, warum auf einmal kein Sexualreiz bei
ihm möglich sein sollte. Auch hier würde, da es sich um einen ver-
hält nissmässig intelligenten Menschen handelt, eine genauere Analyse
Aufschluss über die Jugend Vorkommnisse und deren Folgen geben.
Den Fall 80 halte ich für einen rein hysterischen. Sein Sexual-
verkehr ist zur Zeit, ein ganz regelmässiger. Jedoch aus den beiden
l'mständen, dass er schon als kleines Kind Pollutionen gehabt, und mit
dem 8. Jahre bereits mit dem Bruder unsittliche Spiele gespielt, ferner
dass er jetzt hauptsächlich an einer circumscripten Phobie leidet, die
nur beim Sprechen mit Vorgesetzten im Dienst auftritt, aber weit über
das gewöhnliche Maass von Aengstlichkeit im Subordinationsverhältnis
geht, ergiebt sich, dass er unter Jugendeindrücken steht, die jetzt unter
dem militärischen Abhängigkeitsverhältnis wieder zu Tage treten.
Mischformen von anderen Neurosen und Hysterie finden sich
von den 100 Krankengeschichten in 14 Fällen. Alle will ich hier nicht
durchsprechen, sondern bloss einige besonders hervorheben, bei denen
sich nach weisen lässt, wie auf der Basis einer Hysterie durch gewöhn-
liche Schädlichkeiten Mischformen entstehen können. Als hysterische
Angstneurosen finden sich zunächst 5 Männer 1,35, 43, 44, 00. In
59
Fall 1 ist eine circumscripte Angst vor Brücken und Fenstern, eine mit
dem jugendlichen Alter keineswegs zu rechtfertigende sexuelle Anästhesie
und dazukommend seit % Jahren eine frustrane Erregung, die durch
sexuelle Träume gekennzeichnet, die Symptome einer Angstneurose
zufügt.
Fall 35 hat auch als Kind schon Erektionen gehabt und zeitig
masturbiert, infolge von Abstinenz sind seit einiger Zeit auch hierzu
Angstzustände gekommen; die Symptome von abnormen Sensationen in
einzelnen Extremitäten sind hysterischer Natur.
Fall 43 hat eine deutliche Erinnerung aus dem 3. Lebensjahr. An
das erste Sexualvorkommnis knüpften sich dauernd neue sexuelle Reize;
dann kam dazu bis zum 15. Jahre Masturbation. Diese Masturbation
zeitigte ncurasthenisehe Erscheinungen, die aber jetzt durch eine Angst-
neurose vollkommen überlagert sind. Die Impotenz leitet sich aus zwei
Ursachen her: 1. aus hysterischen Jugenderinnerungen, 2. aus dem Um-
slande, dass er, der selbst 48 Jahre ist, an der bedeutend älteren Frau
keine Befriedigung mehr findet. Kaum hatte hei ihm die Angstneurose
eingesetzt, so warf sie sich neben den allgemeinen Angsterscheinungen
auf ein hysterisches Symptom, das er selbst als ein zwangsweises lästiges
Nachdenken über Namen und Aehnliches bezeichnet.
Fall 44 lässt einen im 10. Lebensjahr cingetretenen Schreck als
provozierende Ursache erscheinen. Nur halte ich cs für zweifelhaft, ob
die vor dem 10. Lebensjahr begonnen«' Masturbation nicht auf andere
Ursachen zurückzu führen ist, wie ja dieser bedauernswerte Junge geradezu
zum Spielball der dummen Witze seiner Mitbürger gemacht wurde. In
den letzten Jahren hat sich zu diesen Jugenderinnerungen Angstneurose
hinzugesellt.
Fall 90. Dieser Patient hat auch auf dem Lande als kleines Kind
schon sexuelle Erregungen durchgemacht. Masturbation dauerte dann
sehr lange an und in der Ehe liess er sich zuerst, da er ganz anästhetisch
war, von der Frau masturbieren. Seit 5 Jahren unterbleibt diese Schäd-
lichkeit und an Stelle dessen ist ein vollkommener Mangel an Befriedi-
gung beim Coitus interruptus getreten.
Die weiblichen Mischformen von Hysterie und Angst-
neu rose führen uns folgende Fälle vor:
Im Fall 56 handelt es sich um ein Mädchen, das schon mit 8 Jahren
abnorme Sensationen, die stets sexueller Natur waren, gehabt hat. Die
60
Erinnerungen von damals sind noch heute so deutlich, dass ich dieselben
fast für den eigentlichen damaligen Vorgang supponieren möchte. Diese
Sensation hat sie auf alle mögliche Art zu bekämpfen gesucht. Mit
19 Jahren begann sic dann ein Verhältnis mit einem jungen Mann, der
sie zuerst ganz in Ruhe liess, dann aber, da der \ erkehr wegen \ agi-
nismus unmöglich war, masturbiert hat. Nun stellten sich alle Symptome
typischer Neurasthenie ein, die dann nach einer Operation auf einige
Zeit verschwanden. Nach der Operation war dann der regelrechte Ver-
kehr zwar möglich, wurde aber, um einer Conccption vorzubeugen, irre-
gulär ausgeübt und gleich traten nun bei dieser Kranken angstneurotische
Symptome auf. Charakteristisch ist ihre Angabe, dass sic sich wohl
fühlt, wenn sie 14 Tage überhaupt keinen Umgang mit ihrem Bräutigam
gehabt hat.
Fall 60 zeigt uns ein 20jähriges Mädchen, welches sich sexuell schi-
zeitig entwickelt hat. Sic hat dauernd mit einer grossen sexuellen Li-
bido zu kämpfen, die bei ihr aber Abstinenzerscheinungen hervorruft,
weil sie sich durchaus anständig führt. Ob der Fall auf den Kopf vor
8 Jahren irgendwie damit zusammenzubringen ist, muss ich hier aus
dem einfachen Grunde, dass die Zeit der Fragestellung zu kurz bemessen
war, dahingestellt sein lassen.
No. 68 ist ein Fall, der wohl häufig Vorkommen dürfte, ln der
Jugend Masturbation, jetzt vom Manne geschieden, verträgt die Patientin
die Abstinenz nicht.
In 3 Fällen fanden sich bei Männern Hysterie und Neur-
asthenie:
Fall 34 ist eine lange ausführliche Krankengeschichte eines typischen
Hystericus, bei dem die subjectiven Beschwerden immer genau seinen
schädlichen Sexualbezichungcn im Laufe der Jahre entsprochen haben.
Dieselben sind vorn ausführlich genug beschrieben worden, so dass ich
hier nicht noch einmal darauf eingchcn will. Erwähnen will ich hier
nur, dass der jetzt anästhetische Patient jedes Mal nach dem Coitus
masturbieren muss, um sich eine völlige Befriedigung zu verschaffen und
demzufolge jetzt auch seine Beschwerden neurasthenischer Natur sind.
Fall 37 hat auch eine zeitige Jugenderinnerung, die aber schon
etwas verschwommen ist. Die zwangsweise Masturbation hat bei ihm
mit dem 22. Jahre hysterische Anästhesie gezeitigt, so dass er jetzt, um
eine Befriedigung zu erlangen, wieder zur Masturbation zurückgekehrt ist.
61
Fall 87 ist bereits etwas weiter oben unter den Hysterischen be-
sprochen worden.
Fall 2 hat iVngsterschcinungen gehabt, isl verlobt und abstinent,
gelegentlich masturbiert er und bekommt dann ncurasthenisehe Sym-
ptome hinzu.
Fall 65 übt mit der Frau Coitus intcrruptus, da ihn aber dies
nicht befriedigt, masturbiert er ausserdem.
Mischformen von Neurasthenie und Angstneurose:
Fall 9 zeigt eine Frau, die jahrelang Coitus intcrruptus gegen die
Conccption ohne Befriedigung ausgeübt hat. Sie hat zwar nicht zuge-
geben, dass sie masturbiert, aus ihren Symptomen aber gehl hervor,
dass sie zur Herbeiführung einer Befriedigung Masturbation betrieben hat.
Fall 15 ist stets längere Zeit abstinent; wird aber dann von ihrem
Manne manchmal masturbiert.
Fall 79 zeigt eine so einfache Erklärung, dass ein näheres Ein-
gehen darauf gar nicht nötig ist.
Eine Mischform, die Hysterie, Angstneurose und Neur-
asthenie aufweist, ist Fall 23. Leider war dieser Patient nicht im
Stande, genau die Zeiten der einzelnen Phasen in seinem Sexualleben anzu-
geben. W ir könnten sonst die 3 Erscheinungen bei ihm noch besser trennen.
Unter den 100 Fällen befinden sich zwei, die ich als Tabes angc-
sprochen habe, einen als Hysterie und Tabes.
Fall 27 und 69. Bei dem einen handelt es sich hauptsächlich um
eine Ejaculatio praecox, bei dem andern um eine 7jährige sexuelle voll-
ständige Bedürfnislosigkeit. Bei beiden ist Lucs in der Anamnese an-
geführt, der eine klagte über Schmerzen nach sexuellen Erregungen, der
andere hatte Parästhesieen. Beim einen fand sich somatisch gar nichts,
beim anderen waren Patellarreflex und Pupillenreflex linkerseits schwächer
als rechts. Ich habe aus dem Fehlen jeglicher sexueller Schädlichkeit
nicht beanstandet, diese Fälle als beginnende Tabes zu bezeichnen.
Der Fall 83 zeigt auch vor Jahren eine Lues in der Anamnese,
auch hier sind Patellarreflexe normal. Früher hatte er Schmerzen in
den Beinen gehabt, jetzt ist er impotent. Auch hier halte ich eine
Tabes für bestehend, die nebenbei sich auf eine Hysterie aufbaut.
Werfen wir noch einen Rückblick auf die Mischformen mit sexueller
Aetiologic, so scheint es, dass bei jüngeren Leuten (wenn nach verhält-
nismässig mässig betriebener Masturbation für einige Zeit ein normaler
Verkehr folgt) dann, wenn der Verkehr wieder aufhört, die Abstinenz
gar niehl ertragen und gleich wieder dem Drange zu masturbieren Folge
gegeben wird; während bei älteren Personen, wie z. B. bei Viltwcn
zwischen dem 30. und 40. Jahre, die in ihrem 16. oder 17. Jahre
masturbiert, dann aufgohört und nach einigen Jahren geheiratet haben,
dann, nach dem Tode des Mannes, die Abstinenz etwas länger als bei
jüngeren Individuen ertragen und erst nach einiger Zeit Befriedigung in
der Masturbation gesucht wird.
Auch fällt es auf, dass bei solchen Frauen, die durch den Coitus
intorruptus gar keine Befriedigung haben und die dann zur Erlangung
einer solchen masturbieren, bloss die Folgeerscheinungen der Masturba-
tion auftreten. Somit könnte bei diesen der Coitus interruptus voll-
kommen gestrichen werden, als er hier gewissermaassen nur zu den
Präliminarien der sexuellen Erregung gehört, und diese Frauen genau in
derselben Weise erkrankt wären, wenn sie bloss masturbiert hätten, um
sich dadurch ihre Befriedigung zu verschaffen, wenn der Mann durch
irgend einen Umstand veranlasst, nicht mit ihnen verkehrt hätte. Ander-
seits weisen gemischte Symptome von Angstneurose und Neurasthenie
darauf hin, dass zeitweilig zwar durch den Coitus interruptus oder Ab-
stinenz oder frustrane Erregung, kurz und gut durch Retention der Li-
bido ein pathologischer Zustand erzeugt wird, der aber nicht jedes Mal
den Patienten veranlasst, die Befriedigung in der Masturbation zu suchen.
Dies ist eine Frage, die ich heute noch nicht zu beantworten im Stande
bin, ich glaube aber, dass die ersterwähnten Fälle darin ihre Aufklärung-
linden, dass bei ihnen die Masturbation eine Zwangshandlung ist, die in-
folge tieferer psychischer Momente ausgeführt werden muss.
Ferner geht aus den Krankengeschichten hervor, dass Angstsym-
ptome nicht das alleinige Krankheitsbild vieler Patienten ausmachen, cs
kommen bei manchen Schmerzen, circumscriptc Phobieen, kurz und gut
ncurasthenische und hysterische Symptome gemischt mit Angst vor, und
wenn wir in der Anamnese nachforschen, erfahren wir, dass bei diesen
Mischformen auch die Actiologie eine gemischte ist. Ich muss hier der
Freud’schen Ansicht vollkommen beipflichten, dass ein Hysteriker, wenn
er sich in der Verdrängung befindet, wie ein anderer normaler Mensch
Erscheinungen von Angstneurose aufweisen kann, sobald er im sexuellen
Verkehr eine Retention oder mangelnde Befriedigung erfährt. Ebenso
kann ein Hysterischer an Neurasthenie erkranken, wenn er unter irgend
einem Zwange stehend masturbiert oder sich masturbieren lässt. In der
Analyse begründet sich dann der Zwang durch ein weit zurückliegendes
psychisches Trauma, während die neurasthcnischen Symptome nur bis
zum Beginn der Masturbation zurückreichen.
Bei dieser Auffassung der Dinge findet man auch den Schlüssel zu
der Erscheinung, dass viele Leute mit anstrengender Thätigkeit an Angst-
neurose erkranken. Nehmen wir irgend Jemanden an, z. B. eine Tele-
phonistin oder einen litterarisch thätigen Menschen, so werden doch
sicherlich in sein Leben durch den Beruf eine Menge neuer zum Teil
sexuelle Vorstellungen hineingetragen, die er früher bis zu dem Grade
gar nicht gekannt hat. Es kommt dies nach und nach einer sexuellen
Erregung vollkommen gleich, die dann, wenn der Betroffene ihr keinen
Ausgleich bieten kann, zu Angsterscheinungen führt. So kann auch ein
junges Mädchen, welches in irgend welche Lebensumstände versetzt wird,
wo sie viel mit Angehörigen des anderen Geschlechts zu thun hat, durch die
gewissen Fährlichkeiten, denen sie, wie ja nicht abzuleugnen ist, ausgesetzt
wird, infolge häufiger frustraner Erregung eine Angstneurose bekommen.
Betrachten wir nun die Eheleute, die im regen Coitus intcr-
ruptus leben, so wird derjenige Teil an Angstneurose erkranken, bei
dem es zu keiner Befriedigung gekommen ist. Wird der Coitus von
Seiten des Mannes aus Rücksicht auf die Frau protrahiert, so wird er
erkranken, beflcissigc er sich dagegen einer dauernden Rücksichtslosig-
keit gegen die Frau oder tritt bei ihm die Ejaculation sehr zeitig ein,
dann wird die Frau die Angstneurose davontragen. Es kommen natür-
lieh auch Fälle vor, wo die Frau wegen mangelnder Befriedigung gleich-
zeitig mit dem den Coitus interruptus übenden Manne erkrankt.
Noch mehr Beispiele hier anzuführen ist wohl unnötig. Es genügt
vielmehr, noch einmal zusammenfassend auszusprechen, dass Angst-
neurose überall da auftritt, wo eine Retention der Libido
stattfindet, während reine Neurasthenie nur infolge von
Masturbation entstehen kann.
Es wären noch die Fälle zu betrachten, die keine Sexualätiologie
in der Anamnese erkennen lassen. Hierhin gehören alle die Angst-
neurotiker, die infolge von Nachtwachen oder geistiger Uebcranstrengung
erkranken oder auch z. B. die nicht seltenen Kranken, die an „Tropen-
koller“ leiden. Auch diese müssen zu den Patienten mit Retention der
Libido oder kurzweg als sexuell Abstinente bezeichnet werden. Ver-
64
wunderlich mag dies vielleicht bei dem sogenannten Tropenkoller er-
scheinen und ich führe daher ein Beispiel an, aus dem der Angstzustand
sehr gut zu erkennen ist:
Fs war ein Herr, der in die Kolonieen ging, nachdem er zu Hause
regelmässigen Sexual verkehr bei normaler Potenz gehabt hatte. Infolge
der Hitze und der in allen Körpergebieten gesteigerten Oxydation, wie
dies ja in den Tropen der Fall ist, nahm der Alkohol verbrauch bei dem
betreffenden Herrn etwas zu. Es war ihm nun in den ersten Monaten
absolut nicht möglich, ein geeignetes Object für seine Sexualbefriedigung
zu finden, da er sich weder an den specifischen Geruch noch den Ha-
bitus der Negerinnen gewöhnen konnte. Fr lebte so über ein halbes
Jahr vollkommen abstinent und bekam alle möglichen allgemeinen Angst-
empfindungen, in denen er sogar soweit ging, Leute mit denen er zu
thun hatte schwer zu beleidigen. Nach und nach gewöhnte er sich auch
an den Umgang mit den farbigen Weibern, trotzdem ein gewisser Ekel
nie zum Schwinden kam, also eine volle Befriedigung nie stattgefunden
hat. Nach seiner Rückkehr in die Heimat waren die Angstanfälle nach
Regelung seiner Sexualbeziehungen bald geschwunden, er konnte selbst
nicht begreifen, wie er, der sonst ein durchaus ruhiger und taktvoller
Mann ist, sich in der Erregung zu solchen Beleidigungen hatte hinreisson
lassen können.
Es erscheint daher auch ganz unnötig, immer wieder neue Formen
der „Neurasthenie“ aufzustellen, wie dies erst kürzlich von einem fran-
zösischen Autor geschehen ist, der in Malariagegenden eine durch Ma-
laria hervorgerufene Form der Neurasthenie beobachtet hat, die er
Neurasthenie palustre nennt. Wäre es nicht vorher notwendig gewesen
zu untersuchen, ob zu der Malariainfektion nicht einfach Abstinenz oder
sonstige sexuelle Schädlichkeiten kommen, die dann eben dieses merk-
würdige Krankheitsbild erzeugt haben V Ebenso fand ich bei einem an-
deren französischen Autor die Bezeichnung einer „forme circulaire de
la neurasthenie“, die ganz ähnlich der echten Phobie zirkulär in Pe-
rioden auftritt. Daraus dass der betreffende Verfasser den Verlauf einen
chronischen nennt, möchte ich doch auch schliessen, dass wie in vielen
ähnlichen Fällen auch hier ein sexueller Hintergrund vorhanden ist,
denn es hat sich ja gezeigt, dass bei dem Aussetzern der Sexualnoxen
eine Besserung eintritt, die dann aber verschwindet, sobald der Kranke
in seinen Fehler zurückverfällt.
Es ist recht verlockend, hieran eine Theorie über den psychischen
Aufbau der Neurasthenie und Angstneurose zu knüpfen; ich unterlasse
dies aber an dieser Stelle, weil einerseits diese beiden Erkrankungs-
formen unmöglich ohne eine gleichzeitige breite Darstellung der Hysterie
definiert werden können, andererseits aber der Zweck dieser Arbeit nicht
der ist Hypothesen aufzustellen, sondern lediglich die täglich vor Augen
tretenden praktischen Vorkommnisse zu besprechen.
Bei der Durchsicht der Rubrik, in welcher die Heredität ver-
zeichnet ist, muss es einigermaassen befremden, dass nur in 12 pCt. der
Fälle von den untersuchten Kranken dahingehende Angaben gemacht
wurden, dass irgend welche nervöse Erkrankungen in der Familie vor-
gekommen seien. Ich will nun gern zugeben, dass gerade bei meinem
Material doch noch der eine oder andere Fall bei weiteren Nach-
forschungen eine hereditäre Belastung aufweisen würde, ja ich bin so-
gar so weit gegangen auch die sonst nicht unter die hereditären Nerven-
krankheiten gerechnete Paralyse mit in die Berechnung einzubeziehen.
Trotzdem weicht der Befund wesentlich von dem anderer Untersuchcr,
wie z. B. Bi ns wanger’s, ab. Diese Thatsache giebt mir zu zwei Be-
trachtungen Anlass; zunächst dass die Neurasthenie und Angstneurose
lediglich im Sexualleben des Individuums selbst ohne Einwirkung der
Vorfahren begründet ist, ferner, dass dort, wo bei Hysterischen sich
neurotische Ascendenten finden, diese nicht einen organisch weniger
widerstandsfähigen Nachkommen gezeugt haben, sondern dass sie infolge
ihrer 'eigenen vom Normalen abweichenden Sexualbeziehungen eine
„psychische Infektion“ ausübten. Dies rückt also die Heredität als
ursächliches Moment der Neurosen in zweite Linie, nämlich insofern,
dass, wenn das erkrankte Individuum in einer sexuell ganz intakten Um-
gebung aufgewachsen wäre, keine Neurosen, trotz schwer nervöser Vor-
fahren, sich im späteren Leben bei ihm entwickelt hätten.
Im Vorstehenden habe ich versucht darzulegen, wie aus Unregel-
mässigkeiten im Sexualleben Beeinträchtigungen des Nervensystems her-
vorgehen, und hoffe hierfür in den mitgeteilten Krankengeschichten über-
zeugendes Material geliefert zu haben. Es hat sich mir bis jetzt immer
auch in anderen Fällen bestätigt, dass den Neurosen eine sexuelle Schäd-
Gattel, Sexuelle Ursachen der Neurasthenie. 5
66
liehkeit zu Grunde lag. Und dort, wo scheinbar Ueberanstrengungen,
Anämie, Sorgen, geistige Ueberarbeitung etc. die ursächlichen und vom
Kranken zunächst angegebenen krankmachenden Momente waren, zeigte
sich bei genauerer Nachforschung, dass schon vorher im Geschlechts-
leben irgend etwas nicht in Ordnung war, und die Krankheit wohl durch
das Hinzutreten der äusseren Noxen ausgebrochen, nicht aber veranlasst
war. Ich glaube daher annehmen zu müssen, dass in solchen Fällen,
wo ein absolut normales Geschlechtsleben vorliegt und sich ausser den
eben angeführten sekundären Momenten gar nichts anderes findet, man
mit der Diagnose einer Neurose sehr vorsichtig sein müsse, ja dass
sogar dann die Vermutung zur Bestätigung wird, dass es sich um ein
organisches Leiden handelt, welches vielleicht noch nicht oder nur sehr
schwer diagnostiziert werden kann.
Es ist aber auch natürlich, nachdem wir die Ursache einer Erkran-
kung ermittelt, uns zu fragen, welchen therapeutischen Weg wir
einzuschlagen haben. AVie steht es hiermit nun bei den Neurosen?
Kaum in einem anderen Zweige der Medizin sind so viele Mittel vorge-
schlagen worden, und kaum an anderer Stelle sicht man die Machtlosig-
keit medikamentöser Behandlung so ein, wie gerade bei den Neurosen.
Die erste Forderung ist zunächst, dass von beiden Seiten eine volle
Offenheit herrsche. Der Patient darf sich nicht schämen über sein Ge-
schlechtsleben zu sprechen und der Arzt nicht zu prüde sein ihn danach
zu fragen. In vielen Fällen ahnt der Kranke ja von selbst, wo ihn der
Schuh drückt — manchmal will er sich darüber hinwegtäuschen lassen,
und selbst Mut aus der Erklärung des erfahrenen Arztes schöpfen, dass
sein Leiden z. B. von Ueberanstrengung herrühre, — manchmal aber
bedarf er eines treuen Ratgebers, der ihm über sein Leiden hinweghilft
und der nicht selbst an falscher Aengstlichkeit leidet wie der Kranke;
er sucht im Arzt einen objektiven Beurteiler seiner Krankheit. Ist die
Schädlichkeit aber aufgedeckt, insofern der Arzt sie überhaupt versteht
und aus den einzelnen Symptomen die krankmachende Ursache erkennen
kann, so ist damit noch lange nicht der Kampf gegen das Jahre lang
andauernde Uebel gewonnen. Die Erkenntnis ist zwar der erste Schritt
zur Genesung und der Kranke wird sich sicherlich Mühe geben, dem
Rate des Arztes folgend, sein Sexualleben wieder in normale Bahnen zu
lenken, bis er aber wieder ganz LIerr seiner Energie ist, vergeht immer-
hin einige Zeit, während welcher er rückhaltlos über sein Sexualleben
Mitteilung machen muss und oft eine Stütze nötig hat. Erst nach und
nach wird er wieder auf eigenen Füssen stehen können und der Erfolg
dieser Behandlung wird nicht ausbleiben.
Hat es daher einen Sinn zu erwägen, ob dieses oder jenes Alkaloid
mehr zu empfehlen ist, in welcher Dosis jenes neue Sedativum anzu-
wenden ist'? Jeden ehrlichen Arbeiter wird die Zwecklosigkeit all’ der
gegen Neurasthenie etc. empfohlenen Medikamente oft geärgert haben.
Und ist es denn anders mit den übrigen therapeutischen Maassnahmen?
Der Erfolg eines Landaufenthaltes, einer Reise etc. liegt nicht bloss in
der veränderten Umgebung. Wo ein Heileffekt erzielt worden ist, rührt
er lediglich von den veränderten Sexualbeziehungen her. Soll ich erst
Beispiele anführen, dass Mütter, die mit ihrem Manne den Coitus inter-
ruptus pflegen, sich in einem Bade, wo nur Damen sind, wunderbar er-
holen, zur Nachkur mit dem Manne in einem Sccbadc Zusammentreffen,
dort wieder den schädigenden Geschlechtsverkehr aufnehmen, bald wieder
erkranken, und dann nie wieder an die See gehen, weil sic die starke
Seeluft nicht vertragen haben? Oder soll ich die wunderbaren Erfolge
erwähnen, die ein Neurastheniker in einer Kaltwasserheilanstalt erfährt?
Dort ist er den ganzen Tag mit therapeutischen Maassnahmen beschäf-
tigt, Abends schläft er womöglich schon stehend ein, und wenn er dann
heimkommt, beginnt auch er wieder sein verkehrtes Sexualleben, und
siehe, die Wasserbehandlung hat nicht lange genug nachgehalten. Im
nächsten Jahre reist er mit einem Freunde, wiederum geht es ihm gut,
und kaum ist er einige Wochen zu Hause, so ist auch sein altes Leiden
wieder da, natürlich ist dann sein Geschäft etc. daran Schuld, weil nun
ja alle ärztlichen Verordnungen durchprobiert worden sind.
Eine schlimme weitere Folge ist aber die, dass die Kranken, die
von einem Arzte zum andern gegangen sind, von denen keiner ihn nach
seinem Sexualleben gefragt hat und von denen keiner ihm also geholfen,
auch den Glauben an die ärztliche Kunst nicht allein in den functioneilen,
sondern auch den organischen Erkrankungen verlieren.
Solange man die wirklichen Ursachen der Neurosen nicht kennt,
darf man es Niemandem verübeln, wenn er nach bestem Wissen und
Können dem Patienten irgend ein Surrogat giebt, hat man sich aber
selbst von dem gewaltigen Einfluss der Sexualität auf die Nerven-
68
Störungen überzeugt, so erfordert es die Aufrichtigkeit, den Kranken
darauf hinzuweisen. Ist aber hierfür der einzelne Arzt verantwortlich?
Jeh glaube nicht.
Es ist die Neigung unserer Zeit, alles Sexuelle möglichst zu ver-
decken und demjenigen, der es wagt frei und offen über das Geschlechts-
leben zu sprechen, unlautere Motive unterzuschieben oder ihn für be-
rechnend zu halten. Ist cs nicht eher unlauter, das als wahr Erkannte
zu verschweigen und trotz besseren Wissens alte vorgetretene Bahnen
weiter zu wandeln?
Gedruckt bei L Schumacher in Berlin.